12.04.2016

Benachteiligung von schwerbehinderten Bewerbern: Kippt das BAG das Erfordernis der "objektiven Eignung"?

Der Achte Senat des BAG wird Entschädigungsansprüche schwerbehinderter Bewerber nach dem AGG künftig möglicherweise nicht mehr davon abhängig machen, dass der Bewerber für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet war. In einem obiter dictum zweifelt der Senat u.a. wegen des Wortlauts von § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG an seiner bisherigen Rechtsprechung. Hiernach sei ein Entschädigungsanspruch für Personen, die "bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden" wären, gerade nicht ausgeschlossen, sondern lediglich der Höhe nach begrenzt.

BAG 22.10.2015, 8 AZR 384/14
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist gelernter Großhandelskaufmann mit langjähriger Erfahrung in verschiedenen kaufmännischen Bereichen. Zuletzt war er als Verwaltungsmitarbeiter beschäftigt. Die beklagte Körperschaft des öffentlichen Rechts hatte eine Stelle als "kaufmännische/r Sachbearbeiter/in" ausgeschrieben, auf die sich der Kläger bewarb. In seiner Bewerbung wies er darauf hin, dass er aus gesundheitlichen Gründen seine Erwerbstätigkeit für mehrere Monate habe unterbrechen und sich aufgrund seiner Schwerbehinderung beruflich habe neu orientieren müssen.

Die Beklagte erteilte dem Kläger eine Absage, ohne ihn zuvor zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu haben. Auf Nachfrage erklärte sie, dass der Bewerbung nicht zu entnehmen gewesen sei, dass eine Schwerbehinderung mit einem GdB von mindestens 50 vorliege. Daher habe keine Pflicht zur Einladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch bestanden.

Die Klage auf Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG hatte in allen Instanzen Erfolg.

Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte aus § 15 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 und § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. § 81 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 sowie § 82 Satz 2 SGB IX einen Entschädigungsanspruch wegen unmittelbarer Benachteiligung wegen seiner Behinderung.

Nach der bisherigen Rechtsprechung setzt ein Entschädigungsanspruch eines unterlegenen Bewerbers voraus, dass dieser für die zu besetzende Stelle objektiv geeignet war. Ob an diesem Erfordernis festgehalten werden kann, ist zweifelhaft. § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG schließt den Entschädigungsanspruch für Personen, die "bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden" wären, nicht aus, sondern begrenzt ihn lediglich der Höhe nach.

Zudem würde das Erfordernis der "objektiven Eignung", da die Feststellung einer "vergleichbaren Situation" nicht ohne Vergleichsbetrachtung auskommen kann, wohl eine parallele Überprüfung der "objektiven Eignung" der eingeladenen Bewerber nach sich ziehen müssen. Eine derartige Prüfung und Vergleichsbetrachtung findet jedoch möglicherweise weder in den Bestimmungen des AGG noch in den unionsrechtlichen Vorgaben, insbesondere denen der Richtlinie 2000/78/EG eine hinreichende Grundlage.

Im Streitfall kann dies jedoch dahinstehen, da der Kläger für die zu besetzende Stelle objektiv geeignet war. Die Beklagte hatte auch hinreichende Kenntnis von der Schwerbehinderung des Klägers. Nach § 2 Abs. 2 SGB IX sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Dementsprechend musste die Beklagte den Hinweis des Klägers auf seine "Schwerbehinderung" dahingehend verstehen, dass mindestens ein GdB von 50 vorlag; eine ausdrückliche Angabe des Grads der Behinderung war daher nicht erforderlich.

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