17.02.2023

Besseres Verhandlungsgeschick rechtfertigt keine schlechtere Bezahlung von Frauen gegenüber männlichen Kollegen

Frauen haben Anspruch auf gleiches Entgelt wie ihre männlichen Kollegen für gleiche oder gleichwertige Arbeit. Zahlt der Arbeitgeber Männern mehr, können sie daher eine entsprechend höhere Vergütung verlangen. Das gilt auch, wenn Grund für die bessere Bezahlung das besondere Verhandlungsgeschick des männlichen Kollegen ist.

BAG v. 16.2.2023 - 8 AZR 450/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist seit März 2017 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb beschäftigt. Ihr einzelvertraglich vereinbartes Grundentgelt betrug anfangs monatlich 3.500 € brutto. Ab August 2018 richtete sich ihre Vergütung nach einem Haustarifvertrag, der u.a. die Einführung eines neuen Eingruppierungssystems regelte. Die für die Tätigkeit der Klägerin maßgebliche Entgeltgruppe des Haustarifvertrags sah ein Grundentgelt i.H.v. 4.140 € brutto vor. In § 18 Abs. 4 des Haustarifvertrags heißt es: "Für den Fall, dass das neue tarifliche Grundentgelt das bisherige tarifliche Entgelt (...) überschreitet, erfolgt die Anpassung um nicht mehr als 120 €/brutto in den Jahren 2018 bis 2020" (Deckelungsregelung). In Anwendung dieser Bestimmung zahlte die Beklagte der Klägerin ab August 2018 ein Grundentgelt i.H.v. 3.620 € brutto, das in jährlichen Schritten weiter angehoben werden sollte.

Neben der Klägerin waren als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb der Beklagten zwei männliche Arbeitnehmer beschäftigt, einer davon seit dem Januar 2017. Die Beklagte hatte auch diesem Arbeitnehmer ein Grundentgelt i.H.v. 3.500 € brutto angeboten, was dieser jedoch ablehnte. Er verlangte für die Zeit bis zum Einsetzen einer zusätzlichen leistungsabhängigen Vergütung, d.h. für die Zeit bis zum 31.10.2018 ein höheres Grundentgelt von 4.500 € brutto. Die Beklagte gab dieser Forderung nach.

Nachdem die Beklagte dem Arbeitnehmer von November 2017 bis Juni 2018 - wie auch der Klägerin - ein Grundentgelt i.H.v. 3.500 € gezahlt hatte, vereinbarte sie mit diesem ab Juli 2018 eine Erhöhung des Grundentgelts auf 4.000 € brutto. Zur Begründung berief sie sich u.a. darauf, dass der Arbeitnehmer einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei. Ab August 2018 zahlte die Beklagte dem männlichen Arbeitnehmer ein tarifvertragliches Grundentgelt nach derselben Entgeltgruppe wie der Klägerin, das sich in Anwendung der "Deckelungsregelung" des § 18 Abs. 4 des Haustarifvertrags auf 4.120 € brutto belief.

Die Klägerin war der Ansicht, die Beklagte müsse ihr ein ebenso hohes Grundentgelt zahlen wie ihrem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen. Dies folge daraus, dass sie die gleiche Arbeit wie ihr männlicher Kollege verrichte. Da die Beklagte sie beim Entgelt aufgrund des Geschlechts benachteiligt habe, schulde sie ihr zudem die Zahlung einer angemessenen Entschädigung i.H.v. mind. 6.000 €. Arbeitsgericht und LAG haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat das BAG das Berufungsurteil abgeändert und der Klage weitestgehend stattgegeben.

Die Gründe:
Die Beklagte hat die Klägerin in der Zeit von März bis Oktober 2017 sowie im Juli 2018 aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt und zwar dadurch, dass sie ihr, obgleich die Klägerin und der männliche Kollege gleiche Arbeit verrichteten, ein niedrigeres Grundentgelt gezahlt hat als dem männlichen Kollegen. Die Klägerin hat deshalb einen Anspruch nach Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG auf das gleiche Grundentgelt wie ihr männlicher Kollege.

Der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhalten hat als ihr männlicher Kollege, begründete die Vermutung nach § 22 AGG, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Der Beklagten ist es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Insbesondere konnte sie sich für den Zeitraum März bis Oktober 2017 nicht mit Erfolg darauf berufen, das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen beruhe nicht auf dem Geschlecht, sondern auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe. Für den Monat Juli 2018 konnte die Beklagte die Vermutung der Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts insbesondere nicht mit der Begründung widerlegen, der Arbeitnehmer sei einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt.

Für den Zeitraum ab August 2018 ergab sich der höhere Entgeltanspruch der Klägerin bereits aus dem Tarifvertrag. Entgegen der Auffassung der Beklagten fand die "Deckelungsregelung" in § 18 Abs. 4 Haustarifvertrag auf die Klägerin keine Anwendung, weil diese zuvor kein tarifliches, sondern ein einzelvertraglich vereinbartes Entgelt erhalten hatte.

Infolgedessen war dem auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gerichteten Antrag der Klägerin teilweise zu entsprechen. Der Senat hielt insofern eine Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund des Geschlechts i.H.v. 2.000 € für angemessen.

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