17.10.2023

Bestimmung des Streitwerts: Indizielle Bedeutung der Angabe der klagenden Partei

Bei der Bestimmung des Streitwerts nach § 51 Abs. 2 GKG kann der Angabe seitens der klagenden Partei eine indizielle Bedeutung zukommen, etwa dann, wenn angenommen werden kann, dass sie und ihr Prozessbevollmächtigter sich bei der Einreichung der Klage um eine realistische Einschätzung des Streitwerts bemühen, weil die Erfolgsaussicht der Klage noch ungewiss ist und die klagende Partei sich bei einem Unterliegen durch eine überhöhte Streitwertangabe im Ergebnis selbst belasten könnte. Ist die Sach- und Rechtslage hingegen eindeutig und besteht für die klagende Partei kein erkennbares Prozessrisiko, kann ihrer Streitwertangabe nur eine entsprechend geringere indizielle Bedeutung zukommen.

LAG Berlin-Brandenburg v. 9.10.2023 - 26 Ta (Kost) 6027/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger machte erstinstanzlich Entgeltansprüche i.H.v. rd. 123.000 € brutto und 775 € netto gegen die Beklagte geltend. Die Beklagte erhob gegen den Kläger mit ihrer Widerklage Ansprüche wegen einer Übermittlung zahlreicher Kundendaten an ein privates E-Mail-Konto des Klägers, des Erwerbs von Gutscheincodes für die Vermittlung von Geschäften von einem Kunden, Aufwendungsersatzes aufgrund der Umsetzung seines Dienstwagens durch die B und wegen der Anforderung einer EU-Konformitätserklärung für den Kläger.

Das ArbG verkündete zunächst ein Teilurteil, in dem es nur über mit der Klage i.H.v. rd. 80.000 € geltend gemachte Beträge (Vergütung von Überstunden, Urlaubsentgelt, Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Entgeltfortzahlung an Feiertagen) entschied und die Klage insoweit abwies. Die Berufung des Klägers gegen die Entscheidung blieb vor dem LAG erfolglos. Erstinstanzlich endete das Verfahren dann mit einem Vergleich nach einem Güterichterverfahren. In dem Vergleich verpflichtete sich die Beklagte, an den Kläger restliches Entgelt i.H.v. 10.000 € zu zahlen. Damit sollten dann alle Ansprüche der Parteien untereinander erledigt sein. Hinsichtlich der Gerichtskosten des Rechtsstreits erster Instanz einigten sich die Parteien darauf, diese jeweils zur Hälfte zu tragen.

Der Widerklageantrag zu 4) betraf außergerichtliche Rechtsanwaltskosten der Beklagten. Bei dem Widerklageantrag zu 5) ging es um einen Anspruch gem. §§ 670, 683 BGB. Rd. 50 € (netto) hatte die Beklagte an die BVG im Zusammenhang mit der Umsetzung eines durch den Kläger privat genutzten Vorführwagens gezahlt. Außerdem machte die Beklagte mit dem Antrag zu 5) Erstattung i.H.v. 350 € hinsichtlich einer für den Kläger angeforderte EU-Konformitätserklärung geltend.

Das ArbG setzte im Rahmen der Streitwertfestsetzung - ausgehend von 686 Kundendatensätzen in der streitgegenständlichen Datei und einem Wert i.H.v. 250 € pro Datensatz - den Widerklageantrag zu 1) mit rd. 43.000 €, die Widerklageanträge zu 2) und 3) mit rd. 170.000 €, den Widerklageantrag zu 4) mit rd. 3.000 €, den Widerklageantrag zu 5) mit rd. 400 € und die Widerklageanträge zu 6) bis 9) mit rd. 43.000 € sowie die Anträge zu 10) bis 14) mit insgesamt 5.000 € an. Dabei ging es von der Bewertung durch die Beklagte in einem Schriftsatz aus und gelangte so zu einem Gesamtstreitwert (einschließlich der Klageforderung) i.H.v. rd. 400.000 €. Gegen den Beschluss legte der Kläger Beschwerde ein; es sei nicht ersichtlich, dass die Angaben in den Dateien irgendeinen Wert hätten. Der Gesamtstreitwert solle auf rd. 140.000 € herabgesetzt werden. Das ArbG half der Beschwerde nicht ab. Das LAG änderte den Beschluss des ArbG teilweise ab und setzte den Streitwert für das Verfahren auf rd. 340.000 € fest

Die Gründe:
Es ist zunächst nicht zu beanstanden, dass das ArbG bei der Bemessung des nach § 51 Abs. 2 GKG zu bestimmenden Streitwerts für die Anträge zu 2) und 3) den Wert der einzelnen Kundendaten berücksichtigt sowie im Ergebnis einen Betrag i.H.v. 170.000 € angesetzt hat. Das entspricht den mit der Widerklage verfolgten Interessen der Beklagten. Der Antrag zu 1) hat den Streitwert wegen identischer Zielrichtung neben dem Wert für die Anträge zu 2) und 3) jedoch nicht erhöht. Das ArbG ist von den Angaben der Beklagten in ihrem Schriftsatz ausgegangen. Es hat daher für jeden per E-Mai übermittelten Datensatz 250 € angesetzt.

Der Streitwertangabe seitens der klagenden Partei kann insoweit eine indizielle Bedeutung zukommen (vgl. BGH v. 24.11.2022 - I ZR 25/22, Rn. 12). Dies ist insbesondere der Fall, wenn angenommen werden kann, dass sie und ihr Prozessbevollmächtigter sich bei der Einreichung der Klage um eine realistische Einschätzung des Streitwerts bemühen, weil die Erfolgsaussicht der Klage noch ungewiss ist und die klagende Partei sich bei einem Unterliegen durch eine überhöhte Streitwertangabe im Ergebnis selbst belasten könnte. Wenn hingegen die Sach- und Rechtslage eindeutig ist und für die klagende Partei kein erkennbares Prozessrisiko besteht, kann ihre Streitwertangabe nur eine entsprechend geringere indizielle Bedeutung zukommen. Das gilt auch für das arbeitsgerichtliche Verfahren. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass das Kostenrisiko durch § 12a ArbGG erstinstanzlich deutlich begrenzt ist. Das Risiko bzgl. der Gerichtskosten verbleibt jedoch.

§ 51 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmt zudem, dass dann, wenn der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts hinsichtlich eines Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruchs keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ein Streitwert i.H.v. 1.000 € anzunehmen ist. Davon ist auch bei zu erwartenden nur unerheblichen Beeinträchtigungen auszugehen sowie dann, wenn in den genannten Fällen Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung nebeneinander geltend gemacht werden (§ 51 Abs. 3 Sätze 3 und 4 GKG). Der Kläger trägt im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vor, "es sei in keiner Weise ersichtlich" dass die Angaben in der Datei, auf die sich die Anträge beziehen, irgendeinen Wert hätten, ohne dies aber zu begründen. Entgegen der Annahme des Klägers gab es durchaus Anhaltpunkte dafür, dass eine "Mitnahme" von Kundendaten für die Beklagte auch mit wirtschaftlichen Risiken verbunden sein konnte.

Das ArbG hat den Antrag zu 4) hingegen zu Unrecht bei der Wertberechnung in Ansatz gebracht. Der Klagebegründung lässt sich entnehmen, dass die vorgerichtlichen Kosten auf die streitgegenständliche Hauptforderung angefallen sind. Davon ist angesichts ihrer Berechnung auszugehen. Vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten sind aber als werterhöhender Hauptanspruch nur zu berücksichtigen, wenn sie nicht auf die streitgegenständliche Hauptforderung angefallen sind. Den Antrag zu 5) hat das ArbG hingegen wieder zutreffend dem Zahlungsantrag entsprechend in Ansatz gebracht. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das ArbG bei der Bewertung der ersten Stufenklage (Anträge zu 6 bis 9) rd. 43.000 € angesetzt hat. Die Bewertung des Gegenstandswerts einer Stufenklage hat für die Gerichtsgebühren nach § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 44 GKG, § 3 ZPO zu erfolgen. Nach § 44 GKG ist im Falle einer Stufenklage für die Wertberechnung nur einer der verbundenen Ansprüche - und zwar der höhere - maßgebend.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Beschluss
BGH vom 24.11.2022 - I ZR 25/22

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