01.09.2023

Darf der Arbeitgeber die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie auf bestimmte Arbeitnehmer beschränken?

Ein Ausgleich der inflationsbedingten Teuerungsrate muss nicht allen Arbeitnehmern gleichmäßig gewährt werden, wenn sachliche Gründe für eine Differenzierung bestehen. Die Geltung verschiedener Vertragsmodelle ist ein formeller Gesichtspunkt und ersetzt nicht den sachlichen Grund für die Differenzierung. Eine Gruppenbildung ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Unterscheidung einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen ist.

ArbG Paderborn v. 6.7.2023 - 1 Ca 54/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist seit 2009 bei der Beklagten als Verkäuferin in Teilzeit beschäftigt. Die Beklagte hat den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern den Abschluss neuer Arbeitsverträge angeboten. Die Klägerin hat das Angebot nicht angenommen. In dem Kalenderjahr 2022 hatte die Beklagte die Jahressonderleistung nicht an die Klägerin ausgezahlt. Die Klägerin machte ihren Anspruch auf Zahlung der Jahressonderzahlung für das Kalenderjahr 2022 i.H.v. 1.036,81 € brutto gerichtlich geltend. Nachdem die Beklagte die Zahlung an die Klägerin geleistet hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.

Mit Schreiben vom 29.9.2022 wurden die Mitarbeiter der Beklagten darüber informiert, dass allen Mitarbeitern, die keine Sonderleistungen erhalten haben, aufgrund der steigenden Inflation eine Inflationsausgleichsprämie i.H.v. 1.000 € netto ausgezahlt werde. Teilzeitkräfte erhielten diese entsprechend anteilig. Die Klägerin hat keine Inflationsausgleichszahlung erhalten. Sie verlangte von der Beklagten die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie unter Berücksichtigung ihrer Teilzeittätigkeit i.H.v. 666 €.

Die Klägerin war der Ansicht, der streitgegenständliche Anspruch ergebe sich aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Darüber hinaus liege auch ein Verstoß gegen das Maßregelverbot vor. Die Beklagte hielt dagegen, die Klägerin habe als Sonderzahlungen für die Jahre 2020 und 2021 insgesamt rund 3.700 € brutto erhalten. Der Großteil der Belegschaft habe dagegen seit dem Jahr 2020 keine Sonderzahlung mehr erhalten und habe diese auch nicht gerichtlich geltend gemacht. Damit liege ein sachlicher Differenzierungsgrund dafür vor, diejenigen Mitarbeiter, die keine Sonderzahlungen erhalten haben, günstiger zu behandeln, als diejenigen Mitarbeiter, die entsprechende Zahlungen erhalten haben.

Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie abgewiesen.

Die Gründe:
Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie ergab sich weder aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz noch aus einem Verstoß gegen das Maßregelverbot.

Die Beklagte durfte nach sachlichen Gründen differenzieren, welcher Arbeitnehmergruppe sie einen Inflationsausgleich zukommen lassen will und welcher Arbeitnehmergruppe nicht. Ein Ausgleich der inflationsbedingten Teuerungsrate muss nicht allen Arbeitnehmern gleichmäßig gewährt werden, wenn sachliche Gründe für eine Differenzierung bestehen. Die Beklagte hat mit der Beschränkung der Leistungen einen weitergehenden Zweck verbunden. Es wurde dem Vortrag der Beklagten nicht gerecht, die Gleichbehandlung allein nach dem für alle gleichermaßen geltenden Ziel des Inflationsausgleichs zu beurteilen. Vielmehr zeigte die Verteilung der Leistung und die dafür gegebene Begründung, dass es der Beklagten bei der Differenzierung um eine Angleichung der Arbeitsbedingungen ging. Zwar bedankte sie sich auch für den Einsatz der Mitarbeiter. Mit der Bezeichnung als "Inflationsprämie" und der Zahlung nur an diejenigen Mitarbeiter, die auf eine Sonderzahlung verzichtet hatten, wurde der Charakter als Ausgleichszahlung aber hinreichend deutlich.

Die Geltung verschiedener Vertragsmodelle ist ein formeller Gesichtspunkt und ersetzt nicht den sachlichen Grund für die Differenzierung. Eine Gruppenbildung ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Unterscheidung einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen ist. Die unterschiedliche Leistungsgewährung muss stets im Sinne materieller Gerechtigkeit sachgerecht sein. Das ist auch bei unterschiedlichen Vergütungssystemen nicht ohne weiteres gewährleistet. Die Beklagte bezweckte mit der Beschränkung der Leistung auf die Arbeitnehmer, die auf die Sonderzahlung verzichtet hatten, einen Ausgleich gegenüber den übrigen Arbeitnehmern, die einen Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld hatten. Das war ein sachlicher Grund, der eine Differenzierung rechtfertigte.

Der Zahlungsanspruch ergab sich auch nicht aus einem Verstoß der Beklagten gegen das Maßregelverbot. Gem. § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder Maßnahme nicht deshalb benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Damit verbietet § 612a BGB jede Benachteiligung des Arbeitnehmers, also nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbare. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass die rechtswidrige Benachteiligung durch den Arbeitgeber beseitigt wird. Die Beseitigung kann nur dadurch erfolgen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer so stellt, wie er ohne die Maßregelung stünde.

Die Rechtsausübung durch die Klägerin war aber nicht kausal für die von der Beklagten vorgenommene Maßnahme. Diese hat die Klägerin nicht von der Gruppe der Arbeitnehmer, an die sie eine Inflationsausgleichsprämie gezahlt hat, ausgenommen, weil sie keinen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben hatte. Grund für die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie war vielmehr die gestiegene Inflation und damit verbundene Mehrbelastung der Arbeitnehmer. Hier hat die Beklagte bei der Verteilung zulässig zwischen Arbeitnehmern, die bereits Anspruch auf eine Sonderzahlung haben, und Arbeitnehmern, die ansonsten keine Sonderzahlung erhalten, differenziert.

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Aufsatz
Christian Moderegger
Tariflohnerhöhungen in Zeiten der Inflation - Anrechnen oder Aufstocken?
ArbRB 2023, 253

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