16.11.2020

Entschädigungsanspruch nach AGG aufgrund Benachteiligung wegen der Religion

Die Aufforderung in einer Stellenanzeige, die Konfession anzugeben, ist ein ausreichendes Indiz für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion gem. § 22 AGG. Die berufliche Anforderung - Angehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft - ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie angesichts des Ethos der Kirche und der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Erbringung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der/die Arbeitgeber/-in.

ArbG Karlsruhe v. 18.9.2020 - 1 Ca 171/19
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des AGG zu zahlen.

Im Januar 2019 schrieb die Beklagte eine Sekretariatsstelle im Büro der geschäftsleitenden Oberkirchenrätin aus. Bewerberinnen und Bewerber wurden in der Stellenaussschreibung aufgefordert, ihre Bewerbungsunterlagen "unter Angabe der Konfession" zu senden.

Die Klägerin, eine ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte/Rechtsfachwirtin bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle. Ihr Bewerbungsschreiben hatte u.a. folgenden Inhalt:

"Ich bin konfessionslos (Atheistin). Laut Homepage unterhält die evangelische Landeskirche Baden aber vielfältige Beziehungen zu anderen Religionen und Konfessionen, weshalb ich überzeugt bin, aufgrund meiner vielfältigen Qualifikationen dennoch die ausgeschriebene Stelle optimal ausfüllen zu können."

Zum Zeitpunkt der Bewerbung war die Klägerin in ungekündigter Stellung als Büroleiterin einer Kanzlei für Arztrecht mit zwei Rechtsanwälten beschäftigt.

Ein Vorstellungsgespräch fand statt, die Stelle wurde jedoch an eine andere Bewerberin vergeben.

Die Klägerin klagte auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG i.H.V. 10.000 €. Bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin handelt es sich um einen Rechtsanwalt der Kanzlei, in der die Klägerin als Büroleiterin tätig ist.

Das ArbG hat der Klägerin 50% der eingeklagten Summe zugesprochen.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG i.H.v. 5.037 € (1,5 Bruttomonatsgehälter).

Die Klägerin wurde dadurch, dass sie von der Beklagten nicht eingestellt wurde, unmittelbar i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt, denn sie hat eine ungünstigere Behandlung erfahren als die letztlich eingestellte Person.

Die Klägerin wurde von der Beklagten entgegen den Vorgaben des AGG wegen der Religion benachteiligt.

Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Der Kausalzusammenhang ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG an einen Grund i.S.v. § 1 AGG anknüpft.

§ 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierung im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat.

Schreibt der Arbeitgeber eine Stelle entgegen § 11 AGG unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG aus, kann dies die Vermutung i.S.v. § 22 AGG begründen, dass der/die erfolglose Bewerber/in im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen eines Grundes i.S.v. § 1 AGG benachteiligt wurde.

Vorliegend begründet die Stellenausschreibung der Beklagten vom 13.1.2019 die Vermutung, dass die Klägerin wegen der Religion benachteiligt wurde.

Die Stellenausschreibung der Beklagten bewirkt nicht nur eine unmittelbare Benachteiligung von Mitgliedern anderer Religionsgemeinschaften, sondern auch von konfessionslosen Personen - wie der Klägerin - wegen der Religion. Vom Begriff "Religion" i.S.v. § 1 AGG und der RL 2000/78/EG wird auch der Glaube an keine Religion als Ausübung der negativen Religionsfreiheit geschützt.

Gemäß der Stellenausschreibung wurden die Bewerberinnen und Bewerber aufgefordert, ihre Bewerbungsunterlagen unter Angabe der Konfession einzureichen. Damit hat die Beklagte zwar nicht unmittelbar zum Ausdruck gebracht, dass die Religionszugehörigkeit eine zwingende Voraussetzung für die Besetzung der Stelle ist; allerdings stellt sie damit zumindest mittelbar die Frage nach der Konfession. Damit signalisiert die Beklagte ggü. dem/der Bewerber/in, dass diese Information für sie wichtig ist und bei der Auswahlentscheidung eine Rolle spielen kann. Ansonsten ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, wozu die Beklagte die Angabe der Konfessionszugehörigkeit benötigt. Diese Vermutung hat die Beklagte auch bestätigt, indem sie vorträgt, dass im Rahmen der Überprüfung der uneingeschränkten Loyalität und Identifikation mit den kirchlichen Aufgaben die Angabe der konfessionellen Bindung für eine Kirchenverwaltung eine wichtige und hilfreiche Information darstelle. Nach eigenen Angaben der Beklagten kann eine reflektierte Einstellung zur christlichen Religiosität und den Aufgaben und Zielen einer christlichen Kirche schließlich nur von einer Person erwartet werden, die aus eigener Erfahrung eine Vorstellung von christlicher Religion und einen Bezug zu kirchlichen Strukturen hat. Mit andersgläubigen oder konfessionslosen Bewerberinnen und Bewerbern verbinde sich folgerichtig eine andere, differenzierte Erwartung in Bezug auf die Identifikation mit dem kirchlichen Profil. Damit verknüpft die Beklagte die Frage nach der uneingeschränkten Loyalität mit einer Konfessionszugehörigkeit und knüpft damit an einen Grund ggü. § 3 Abs. 1 AGG an. Ein Diskriminierungsvorsatz oder eine Diskriminierungsabsicht seitens der Beklagten ist für einen Entschädigungsanspruch nicht erforderlich.

Verstärkt wird dieses Indiz dadurch, dass die Beklagte nach den aktuell geltenden Rechtsvorschriften (Art. 89 Abs. 5 Grundordnung und §§ 3 ff. Rahmenordnung) bei der Anstellung im kirchlichen Dienst der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft eine besondere Bedeutung beimisst und daher konfessionslose Bewerber/Bewerberinnen eine geringere Chance bei der Einstellungsentscheidung haben.

Die Frage nach der Konfession und die daraus resultierende unterschiedliche Behandlung wegen der Religion ist nicht ausnahmsweise zulässig. Insbesondere ist sie nicht nach § 9 Abs. 1 AGG gerechtfertigt.

Eine Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen der Religion nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG scheidet aus. § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG ist dahin auszulegen, dass es in dem Fall, dass eine Religionsgemeinschaft, kirchliche Einrichtung oder Vereinigung ihr Selbstbestimmungsrecht ausgeübt und die Zugehörigkeit zu einer Kirche als berufliche Anforderung bestimmt hat, es für die Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen der Religion weder auf die Art der Tätigkeit noch die Umstände ihrer Ausübung ankommt. In dieser Auslegung ist die Bestimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 4 Abs. 2 der RL 2000/78/EG nicht vereinbar. Da § 9 Abs. 1 1. Alt. AGG einer unionsrechtskonformen Auslegung im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der RL 2000/78/EG nicht zugänglich ist, muss die Bestimmung unangewendet bleiben (BAG v. 25.10.2018 - 8 AZR 501/14).

Nach § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.

Für das Gericht war bereits nicht erkenntlich, warum die Zugehörigkeit zu einer Konfession wesentlich i.S.v. § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG ist. Gemäß der Stellenausschreibung werden rein administrative und verwaltungstechnische Aufgaben ohne inhaltliche Deutungshoheit oder Bekundung eigener Auffassungen mit Außenwirkung erbracht. Als Mitarbeiterin des Sekretariats vertritt die Klägerin die Kirche nicht in ihren Glaubensgrundsätzen und in Fragen der Verkündigung oder des Selbstverständnisses der Kirche. Jedenfalls erscheint die Anforderung der Zugehörigkeit zu einer Konfession nicht gerechtfertigt. Es handelt sich um sog. verkündigungsferne Tätigkeiten, die nicht geeignet sind, die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihre Verkündigung zu beeinträchtigen. Dies wird von der Beklagten auch nicht behauptet. Sie führt selbst aus, dass für die Ausübung dieser Tätigkeit eine Religionszugehörigkeit oder der Glaube an einen Gott nicht erforderlich sei.

Die Beklagte hat die durch die Stellenausschreibung begründete Vermutung, dass die Klägerin wegen ihrer Konfessionslosigkeit und damit wegen der Religion benachteiligt wurde, nicht widerlegt.

Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zur einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.

Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere Gründe als die Konfessionslosigkeit der Klägerin zu deren ungünstigeren Behandlung geführt haben. Eine entsprechende Widerlegung ergibt sich insbesondere nicht aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin - trotz der Angabe im Bewerbungsschreiben - zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.

Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Klägerin ausschließlich im Rahmen der sog. Bestenauslese wegen mangelhafter Qualifikation bzw. Eignung nicht eingestellt worden sei. Insoweit kann das Gericht dahingestellt sein lassen, ob die Klägerin im praktischen Teil die Aufgabe 1 nicht zur erforderlichen Zufriedenheit der Beklagten erfüllt hat, bzw. ob und inwieweit die Klägerin eine erforderliche Teamfähigkeit und/oder Kommunikationsfähigkeit vermissen ließ und es an der notwendigen Harmonie zwischen der Oberkirchenrätin aufgrund des fehlenden Eingehens auf die Wünsche und Vorstellungen der Oberkirchenrätin fehlte. Diese Argumente dienen nur der Begründung, warum die Klägerin letztendlich nicht eingestellt wurde. Sie widerlegen aber nicht eine Mitursächlichkeit der Konfessionslosigkeit für die Nichteinstellung und damit für eine Benachteiligung wegen der Religion.

Die Beklagte hat die Voraussetzungen für einen Rechtsmissbrauchseinwand gemäß § 242 BGB nicht ausreichend dargelegt.

Das Entschädigungsverlangen eines erfolglosen Bewerbers kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Dies ist dann der Fall, wenn der erfolglose Bewerber sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihm darum gegangen ist, nur den formalen Status als Bewerber i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Schadensersatz oder Entschädigung zu erhalten.

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den - rechtshindernden - Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand geltend gemacht hat.

Diese Voraussetzungen konnte die Beklagte nicht zur ausreichenden Überzeugung des Gerichts darlegen.

Gegen ein Rechtsmissbrauch spricht, dass die Klägerin aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten aufgrund ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit dem Anforderungsprofil der Stellenausschreibung der Beklagten entspricht.

Soweit die Beklagte den Rechtsmissbrauchseinwand auf die fehlende Bereitschaft der Klägerin stützt, ihre derzeitige Stellung als Rechtsanwaltsfachangestellte aufzugeben, liegen hierfür keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. Dies folgt weder aus der Tatsache, dass sich die Klägerin aus einer ungekündigten Stellung beworben hat noch daraus, dass die Klägerin im Oktober/November 2018 eine Fachausbildung für den elektronischen Rechtsverkehr durchgeführt hat. Letzteres kann die Klägerin in Anbetracht der fortschreitenden Digitalisierung im Verwaltungsbereich für vielfältige Aufgaben in einer anderen Anwaltskanzlei oder in einem anderen Verwaltungsbereich nutzen.

Die Tatsache, dass die Klägerin sich im vorliegenden Prozess durch ihren Arbeitgeber vertreten lässt, lässt nicht zwingend den Schluss zu, dass die Klägerin sich nur mit der Absicht beworben hat, im Fall einer Absage eine Entschädigung einzuklagen. Die Prozessvertretung mag in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu ihrem Arbeitgeber begründet sein, dies begründet aber nicht zwingend, dass die Klägerin von vorneherein nicht beabsichtigt hatte, sich beruflich zu verändern. Bei der ausgeschriebenen Stelle handelt es sich um eine unbefristet, attraktive und verantwortungsvolle Vollzeitstelle, die mindestens ihrer bisherigen Büroleiterstelle in einer kleinen Rechtsanwaltskanzlei entspricht.

Das Gericht hält unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entschädigung i.H.v. 1,5 Bruttomonatsvergütungen, mithin eine Entschädigung i.H.v. 5.037 € für angemessen. Bei der Festlegung des Schadensersatzes hat das Gericht zu Gunsten der Beklagten berücksichtigt, dass sie die Klägerin trotz fehlender Konfessionszugehörigkeit bzw. trotz der Bezeichnung als "Atheistin" zum Vorstellungsgespräch eingeladen hat. Sie hat deshalb nicht von vorneherein der Klägerin die Chance verwehrt, sich für die ausgeschriebene Stelle zu empfehlen. Anhaltspunkte dafür, dass die Einladung zum Vorstellungsgespräch einschließlich des Assessment nur zum Zwecke erfolgte, eine evtl. Schadensersatzklage zu verhindern, sind für das Gericht nicht ersichtlich.

Umgekehrt war zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen, dass sie trotz der ergangenen Rechtsprechung des EuGH und des BAG ihre Einstellungspraxis, insbesondere im Hinblick auf die Frage nach der Konfessionszugehörigkeit, bisher noch nicht ausreichend unter Berücksichtigung der ausgeschriebenen Tätigkeit angepasst hat.
Landesrechtsprechung Baden-Württemberg
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