12.11.2015

EuGH weitet Schutz vor Massenentlassungen aus - Auch Aufhebungsverträge können beim Schwellenwert mitzählen

Ob der Schwellenwert für eine Massenentlassung i.S.d. Massenentlassungsrichtlinie erreicht ist, beurteilt sich nicht nur nach der Zahl der "Entlassungen" im engeren Sinn. Zu berücksichtigen sind vielmehr auch Vertragsaufhebungen infolge der Weigerung der Arbeitnehmer, einer erheblichen Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen zuzustimmen.

EuGH 11.11.2015, Rs. C-422/14
Der Sachverhalt:
Im Ausgangsverfahren geht es um die Auslegung des spanischen Massenentlassungsrechts.

Der Kläger ist ein gekündigter Arbeitnehmer, der geltend macht, das beklagte Unternehmen hätte das Verfahren für eine Massenentlassung durchführen müssen. Der insoweit maßgebliche Schwellenwert sei erreicht, da auch die Entlassung befristet Beschäftigter und die Beendigung von Arbeitsverträgen durch Aufhebungsverträge zu berücksichtigen sei. Zu diesen Aufhebungsverträgen sei es nur deshalb gekommen, weil der Beklagte das Festgehalt der Beschäftigten um 25 Prozent haben kürzen wollen, womit Kolleginnen und Kollegen nicht einverstanden gewesen seien.

Das mit der Sache befasste spanische Gericht legte dem EuGH u.a. die Fragen zur Vorabentscheidung vor, ob auch befristet beschäftigte Arbeitnehmer zu den "in der Regel" im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern i.S.d. Massentlassungsrichtlinie gehören und ob auch die Aufhebung eines Arbeitsvertrags eine Entlassung i.S.d. Richtlinie sein kann. Der EuGH bejahte dies.

Die Gründe:
Auch Arbeitnehmer mit einem für eine bestimmte Zeit oder Tätigkeit geschlossenen Vertrag gehören zu den Arbeitnehmern, die i.S.d. Richtlinie 98/59/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen "in der Regel" in dem Betrieb beschäftigt sind. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass allen Arbeitnehmern des Betriebs die ihnen durch die Richtlinie eingeräumten Rechte vorenthalten würden, was die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie beeinträchtigen würde.

Allerdings sind Arbeitnehmer, deren Verträge durch regulären Ablauf enden, im Hinblick auf die Feststellung, ob eine "Massenentlassung" i.S.d. Richtlinie vorliegt, nicht zu berücksichtigen.

Eine "Entlassung" i.S.d. Richtlinie liegt überdies auch vor, wenn ein Arbeitgeber einseitig die Arbeitsbedingungen eines Arbeitnehmers verschlechtert und es daraufhin zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag kommt. Der Begriff der Entlassung darf nach der Zielsetzung der Richtlinie, die insbesondere den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen verstärken soll, nicht eng ausgelegt werden und muss daher auch Fälle umfassen, in denen Arbeitnehmer in anderer Weise als durch eine Kündigung aus dem Arbeitsverhältnis gedrängt werden.

Der Hintergrund:
Das BAG hat bereits entschieden, dass eine anzeigepflichtige andere Beendigung des Arbeitsverhältnisses i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG auch beim Abschluss von Massenaufhebungsverträgen vorliegen kann, wenn diese anstelle von sonst unvermeidbaren betriebsbedingten Kündigungen zum selben Beendigungstermin abgeschlossen werden (HWK/Molkenbur, § 17 KSchG Rz. 14, und Tschöpe/Schulte, Arbeitsrecht Handbuch, Teil 3 C Rz. 3, beide unter Verweis auf BAG, Urt. v. 11.3.1999 - 2 AZR 461/98, ArbRB online).

Linkhinweis:

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EuGH PM Nr. 135/15 vom 11.11.2015
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