26.06.2023

Fristlose Kündigung wegen nicht deklarierter Kaffeepause von zehn Minuten

Das LAG Hamm hat die fristlose Kündigung einer Angestellten wegen einer nicht deklarierten Kaffeepause von mindestens zehn Minuten bestätigt. Ausschlaggebend sei nicht der vergleichsweise geringe Schaden, sondern der entstandene Vertrauensverlust.

LAG Hamm v. 27.1.2023 - 13 Sa 1007/22
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung. Die am 17.3.1959 geborene, verheiratete Klägerin ist bei dem Beklagten, der eine Firma B mit ca. 50 Arbeitnehmern betreibt, seit 2013 vollzeitig zu einem Stundenlohn von zuletzt 11,11 € brutto als Raumpflegerin beschäftigt. Die Klägerin ist mit einem GdB von 100 % schwerbehindert.

Zur Erfassung der Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter unterhält der Beklagte ein elektronisches Arbeitszeiterfassungssystem. Die Arbeitnehmer sind angewiesen, sich zu Beginn ihrer Arbeitszeit ein- und bei Beendigung wieder auszustempeln. In Anspruch genommene Pausenzeiten haben sie ebenfalls festzuhalten, indem sie sich zu Beginn der Pause aus- und bei Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit wieder einstempeln.

Am 8.10.2021 loggte sich die Klägerin bei Aufnahme ihrer Tätigkeit um 07:20 Uhr über das Zeiterfassungssystem ein und bei Beendigung um 11:05 Uhr wieder aus. Gegen 8.30 Uhr besuchte sie an diesem Morgen für mindestens 10 Minuten das gegenüber der B liegende Café und traf sich dort mit einer weiteren Person zum Kaffeetrinken. Unmittelbar vor der Arbeitsunterbrechung hatte die Klägerin Arbeitskolleginnen gegenüber erklärt, dass sie in den Keller gehe. Ob sie das tatsächlich getan hat oder sich unmittelbar in das Café begeben hat, ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin bediente das Arbeitszeiterfassungssystem weder bei Verlassen der B, noch bei Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit. Den Café-Besuch beobachtete der Beklagte gegen 8:30 Uhr von seinem Auto aus. Durch einen Telefonanruf in der B erfuhr er, dass die Klägerin sich in dem Zeiterfassungssystem nicht ausgeloggt hatte.

Nachdem die Klägerin in die B zurückgekehrt war, konfrontierte der Beklagte sie mit seinen Beobachtungen. Den Vorwurf des Arbeitszeitbetruges wies die Klägerin zurück und beteuerte, die B nicht verlassen, sondern sich im Keller aufgehalten zu haben. Auf den Vorhalt des Beklagten, dass er die Klägerin persönlich in dem Café beobachtet habe, erklärte die Klägerin, dass der Beklagte sich irren müsse. Erst nachdem der Beklagte ankündigte, der Klägerin Beweisfotos auf seinem Mobiltelefon zeigen zu wollen, gab diese zu, die B verlassen zu haben und sich zur Pause weder aus- noch wieder eingeloggt zu haben und damit eine Pflichtverletzung bei der Arbeitszeiterfassung begangen zu haben.

Das ArbG wies die Klage gegen die daraufhin ausgesprochene fristlose Kündigung zurück. Das LAG hat diese Entscheidung bestätigt. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 27. Oktober 2021 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Ein wichtiger Grund iSv § 626 Abs. 1 BGB ist gegeben.

Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt für den vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und missbraucht der Arbeitnehmer wissentlich und vorsätzlich das dafür bereitgestellte Arbeitszeiterfassungssystem, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) gegenüber dem Arbeitgeber (BAG v. 13.12.2018 - 2 AZR 370/18).

Die Klägerin hat unstreitig jedenfalls am 8.10.2021 ihren Arbeitsplatz für mindestens zehn Minuten verlassen, ohne das von dem Beklagten installierte Zeiterfassungssystem zu betätigen, um in dem der B gegenüberliegenden Café einen Kaffee zu trinken. Von dem Beklagten nach ihrer Rückkehr darauf angesprochen, hat die Klägerin, wie sie selbst auf Nachfrage in der Verhandlung vor der Berufungskammer nochmals bestätigt hat, zunächst geleugnet, an diesem Morgen während ihrer Arbeitszeit in dem Café gewesen zu sein. Auch auf den Vorhalt des Beklagten, dass er die Klägerin persönlich in dem Café beobachtet habe, hielt die Klägerin zunächst daran fest, die B nicht verlassen zu haben, und erklärte, dass der Beklagte sich irren müsse. Erst nachdem der Beklagte darauf hinwies, dass er davon Fotos angefertigt habe, hat die Klägerin ihr Vergehen eingeräumt. Damit hat sie schon beim Verlassen der B, ohne die Arbeitszeiterfassung zu bedienen, eine Pflichtverletzung begangen. Die Klägerin beruft sich insoweit ohne Erfolg in ihrer Berufungsbegründung darauf, dass sie "nur kurz" Kaffee trinken gewesen sei und dass es sich nur um ein einmaliges Vergehen gehandelt habe. Denn entscheidend sind weder die Dauer des Arbeitszeitbetruges noch die Häufigkeit. Ein wichtiger Grund iSv § 626 Abs. 1 BGB kann grundsätzlich auch vorliegen, wenn es sich nur um einen einmaligen Vorfall gehandelt hat, der nur zu einem geringen wirtschaftlichen Schaden geführt hat. Denn entscheidend ist der sich mit dem Vorgehen verbundene Vertrauensverlust. Vorliegend hat jedenfalls das Nachtatverhalten der Klägerin, indem sie in dem Personalgespräch mit dem Beklagten zunächst beharrlich geleugnet hat, die B an dem streitgegenständlichen Morgen verlassen zu haben, zu einem irreparablen Vertrauensverlust geführt.

Die Klägerin handelte auch vorsätzlich. Ihr Einwand in der Berufungsbegründung, dass das Arbeitsgericht ihr zu Unrecht Vorsatz unterstellt habe, obwohl sie "schlicht vergessen habe", sich auszuloggen, trägt nicht.

Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die vom Arbeitsgericht vorgenommenen Interessenabwägung. Ausgehend davon war eine Abmahnung im Streitfall entbehrlich.

Vorliegend war es für die Klägerin erkennbar ausgeschlossen, dass der Beklagte die von ihr begangene Pflichtverletzung hinnehmen wird. Zwar steht vorliegend nur ein einmaliger Arbeitszeitbetrug von mindestens 10 (und maximal 30 Minuten) fest. Unabhängig davon, ob man bei einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne einer bewussten Falschdokumentation von Arbeitszeit grundsätzlich zunächst eine Abmahnung verlangt, konnte die Klägerin aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles vorliegend mit vertretbaren Überlegungen nicht davon ausgehen, dass der Beklagte ihr Verhalten hinnehmen werde. Denn sie hat nicht nur ihre Arbeitszeit falsch erfasst, sondern hat den Beklagten, der - um Aufklärung bemüht - der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme geben wollte, in diesem Gespräch angelogen, um ihre Tat nachhaltig zu vertuschen.

Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung und des durch sie bewirkten Vertrauensverlusts war es dem Beklagten nicht zumutbar, die Klägerin auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Die gesetzliche Kündigungsfrist hätte bei der mehr als 8-jährigen Betriebszugehörigkeit der Klägerin drei Monate zum Monatsende betragen. Auch die unbeanstandete Betriebszugehörigkeit von neun Jahren und das Lebensalter der Klägerin sowie ihre Schwerbehinderung führen angesichts des mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruchs nicht zu einer Interessenabwägung zu ihren Gunsten.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Anforderungen an eine Verdachtskündigung - Dringender Verdacht einer fehlerhaften Arbeitszeiterfassung als Kündigungsgrund - Entbehrlichkeit einer Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung
LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 28.3.2023 - 5 SA 128/22

Auch nachzulesen im Aktionsmodul Arbeitsrecht:
Für klare Verhältnisse sorgen: Mit den Inhalten der erstklassigen Standardwerke zum Arbeitsrecht. Bearbeiten Sie zahlreiche bewährte Formulare auch mit LAWLIFT. Selbststudium nach § 15 FAO. HWK und Tschöpe, ArbRB, ZFA und vieles mehr. Fachkundig aufbereitete Darstellungen und Analysen aller wichtigen Entscheidungen mit praxisorientierten Beraterhinweisen und Musterformulierungen. 4 Wochen gratis nutzen!
 

Justiz NRW online
Zurück