24.09.2012

Grenzüberschreitende Insolvenz: Administratoren nach englischem Recht können Interessenausgleich mit Namensliste schließen

Art. 10 EuInsVO ist unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass trotz Anwendbarkeit des deutschen Arbeitsrechts auf einen grenzüberschreitenden Insolvenzfall auch ein Administrator nach englischem Recht, der den Arbeitgeber vertritt und - anders als ein deutscher Insolvenzverwalter - nicht in die Arbeitgeberstellung eintritt, als Insolvenzverwalter i.S.v. § 125 InsO anzusehen ist. Der Administrator kann daher einen Interessenausgleich mit Namensliste abschließen, dem die Wirkungen des § 125 InsO zukommen.

BAG 20.9.2012, 6 AZR 253/11
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses, die in einem Administrationsverfahren nach englischem Recht ausgesprochen wurde.

Der Kläger war seit 1991 bei der Beklagten, einer führenden Anbieterin von Telekommunikationslösungen, die zu einer international agierenden Unternehmensgruppe gehört, als "Manager Business Finance" beschäftigt. Anfang 2009 leiteten weltweit verschiedene Gesellschaften dieser Unternehmensgruppe Insolvenzverfahren ein. Am 14.1.2009 eröffnete ein englisches Gericht das Administrationsverfahren als Hauptinsolvenzverfahren i.S.d. EuInsVO über das Vermögen der Beklagten und bestellte drei Administratoren, die einzeln oder gemeinschaftlich tätig werden konnten.

Nach englischem Recht vertreten die Administratoren die Gesellschaft, treten also anders als ein deutscher Insolvenzverwalter nicht in die Arbeitgeberstellung ein. Sie haben u.a. die Befugnis, Arbeitsverhältnisse zu kündigen. Im Juli 2009 kam für die Beklagte, die dabei von einem der drei Administratoren vertreten wurde, ein Interessenausgleich mit Namensliste zustande, die auch den Kläger aufführte. Ihm wurde daraufhin zum 30.11.2009 gekündigt.

Mit seiner Kündigungsschutzklage machte der Kläger u.a. geltend, dass der Administrator keinen Interessenausgleich gem. § 125 InsO hätte vereinbaren können, da dies nach dem hier anwendbaren deutschem Recht Insolvenzverwaltern i.S.d. InsO vorbehalten sei. Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wurde wirksam gekündigt. Dem steht nicht entgegen, dass die Kündigung von einem Administrator nach englischem Recht und nicht von einem Insolvenzverwalter ausgesprochen worden ist.

Bei grenzüberschreitenden Insolvenzen innerhalb der EU kann nach der EuInsVO (Verordnung (EG) Nr. 1346/2000) in dem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (center of main interests/COMI), das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden. In diesem Fall gilt bis zur Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen in allen anderen Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme Dänemarks grds. das Recht des Staates, in dem das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist.

Art. 10 EuInsVO macht davon zwar für Arbeitsverhältnisse eine Ausnahme. Danach gilt für diese "ausschließlich" das Recht des Mitgliedstaats, das nach dem internationalen Privatrecht auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist. Diese Bestimmung ist aber unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass bei Anwendbarkeit des deutschen Arbeitsrechts auch ein Administrator nach englischem Recht als Insolvenzverwalter i.S.d. § 125 InsO anzusehen ist.

Administratoren, die in der vom englischen Insolvenzrecht vorgesehenen Weise für den Schuldner handeln, sind daher auch befugt, einen Interessenausgleich nach § 125 InsO abzuschließen. Nur mit dieser Auslegung lassen sich effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren, wie sie Zweck der EuInsVO sind, sicherstellen.

Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BAG veröffentlicht. Für die Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte hier.

BAG PM Nr. 67/12 vom 20.9.2012
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