Inflationsausgleichsprämie im Pflegedienst: Keine Pflicht zur Gleichbehandlung
LAG Köln v. 20.8.2025 - 4 SLa 146/25
Der Sachverhalt:
Die Beklagte betreibt einen Pflegedienst. Die Klägerin war bei ihr von Mai.2021 bis September 2023 als Altenpflegerin in einem Teilzeitarbeitsverhältnis (Umfang 95%) beschäftigt. Bis Ende September 2023 gehörten zum Leistungsangebot des Pflegedienstes die drei Bereiche der ambulanten (häusliche) Krankenpflege, der Tagespflege sowie der (außerklinischen) Intensivpflege in einer Intensivwohngruppe. Die Klägerin war im Bereich der Intensivpflege eingesetzt mit gelegentlichen Vertretungen in der häuslichen Pflege. Die Beklagte leistete an die Klägerin ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt, dessen Höhe den einschlägigen Regelungen der AVR des Deutschen Caritasverbandes entsprach. Weitere den AVR des Deutschen Caritasverbandes vergleichbare Leistungen erbrachte sie nicht.
Am 1.10.2023 veräußerte die Beklagte den Bereich der Intensivpflege an einen anderen Pflegedienst, der sowohl die Patienten als auch die in diesem Bereich beschäftigten Arbeitnehmer der Beklagten - u.a. die Klägerin - übernahm. Im Oktober 2023 entschied die Beklagte, an die Mitarbeiter des Bereichs ambulante Pflege eine Inflationsausgleichspauschale (IAP) auszukehren, nicht jedoch an die Beschäftigten in der Tagespflege und an die durch den Teilbetriebsübergang ausgeschiedenen Arbeitnehmer. Allerdings bekamen die Mitarbeiter der Intensivwohngruppe von dem Betriebserwerber eine IAP i.H.v. 50 % ausgezahlt.
Die Klägerin war der Ansicht, ihr stehe gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Zahlung der IAP i.H.v. 1.425 € (50%, entsprechend ihrem Beschäftigungsumfang) aufgrund einer Gesamtzusage zu. Die Beklagte verweigerte eine Zahlung. Sie behauptete, dass im Gegensatz zu dem ambulanten Pflegebereich weder für den Bereich der Tagespflege noch für den der Intensivpflege von den Kranken-/Pflegekassen eine Refinanzierung der IAP zugesagt worden sei. Für den Bereich der Intensivpflege treffe jede Krankenkasse eigene Entscheidungen und schließe auch eigene Pflegeverträge ab. Für diesen Bereich sei eine Refinanzierung nicht zugesagt worden. Sie habe erst im Oktober 2023 über die Zahlung einer IAP entschieden und diese nur an die Mitarbeiter der ambulanten Pflege ausgezahlt, weil nur für diese Mitarbeiter die Refinanzierung durch die Krankenkasse sichergestellt worden sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Zahlung abgewiesen. Das LAG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt.
Die Gründe:
Gesetzliche Ansprüche auf die IAP folgten mangels Leistungsverpflichtung der Beklagten nicht aus dem Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz vom 19.10.2022 bzw. § 3 Nr. 11c EStG. Auch aus § 72 Abs. 3b SGB XI konnte die Klägerin keinen Anspruch herleiten. Wie das Arbeitsgericht zutreffend begründet hat, erwächst aus der Norm kein Leistungsanspruch für den einzelnen Arbeitnehmer. Zudem fällt die IAP als freiwillige Leistung des Arbeitgebers nach § 3 Nr. 11c EStG nicht unter die von § 72 Abs. 3b SGB XI erfassten (Mindest-)Entgeltbestandteile.
Auch der Arbeitsvertrag enthielt keine Verpflichtung zur Zahlung einer IAP an die Klägerin. Die AVR des Deutschen Caritasverbandes fand hier keine Anwendung. Aus der "Anlehnung" der Beklagten an die AVR Caritas erwuchs kein Anspruch auf die Zahlung einer IAP. Wie das Arbeitsgerecht zutreffend herausarbeitet hat, verpflichtete sich die Beklagte hierdurch lediglich, die Klägerin nach den in 72 Abs. 3b Satz 2 Nr. 1-6 SGB XI genannten (Mindest)Entgeltbestandteilen zu vergüten, worunter die IAP als freiwillige Leistung nicht fiel.
Die Klägerin konnte auch keinen Anspruch auf Zahlung der IAP aus einer Gesamtzusage der Beklagten herleiten bzw. keinen Anspruch auf Zahlung der IAP wegen Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes geltend machen. Die Beklagte hatte ausdrücklich nur für den Bereich der ambulanten Pflege die Entscheidung getroffen, eine IAP auszuzahlen und im Gegensatz dazu keine Auszahlung an den Bereich der Tagespflege und der Intensivpflege beschlossen. Außerdem bestand zwischen der Klägerin, die bei der Entscheidung über die Zahlung der IAP bereits aus dem Arbeitsverhältnis mit den Beklagten ausgeschieden war, und den Mitarbeitern der ambulanten Pflege keine Vergleichbarkeit, zum anderen wäre selbst bei Annahme einer Vergleichbarkeit die erfolgte Ungleichbehandlung durch sachliche Gründe gerechtfertigt.
Wird die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie durch die Krankenkassen für Mitarbeiter im ambulanten Pflegebereich gem. §§ 132, 132a SGB V refinanziert, für Mitarbeiter in der außerklinischen Intensivpflege gem. § 132 l SGB V hingegen nicht, so ist die Differenzierung zwischen beiden Mitarbeitergruppen bei der Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie durch den Arbeitgeber aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Die fehlende Refinanzierungsmöglichkeit stellt keine bloß willkürliche oder sachfremde Rechtfertigung dar, sondern ist aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten unmittelbar nachvollziehbar.
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Justiz NRW
Die Beklagte betreibt einen Pflegedienst. Die Klägerin war bei ihr von Mai.2021 bis September 2023 als Altenpflegerin in einem Teilzeitarbeitsverhältnis (Umfang 95%) beschäftigt. Bis Ende September 2023 gehörten zum Leistungsangebot des Pflegedienstes die drei Bereiche der ambulanten (häusliche) Krankenpflege, der Tagespflege sowie der (außerklinischen) Intensivpflege in einer Intensivwohngruppe. Die Klägerin war im Bereich der Intensivpflege eingesetzt mit gelegentlichen Vertretungen in der häuslichen Pflege. Die Beklagte leistete an die Klägerin ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt, dessen Höhe den einschlägigen Regelungen der AVR des Deutschen Caritasverbandes entsprach. Weitere den AVR des Deutschen Caritasverbandes vergleichbare Leistungen erbrachte sie nicht.
Am 1.10.2023 veräußerte die Beklagte den Bereich der Intensivpflege an einen anderen Pflegedienst, der sowohl die Patienten als auch die in diesem Bereich beschäftigten Arbeitnehmer der Beklagten - u.a. die Klägerin - übernahm. Im Oktober 2023 entschied die Beklagte, an die Mitarbeiter des Bereichs ambulante Pflege eine Inflationsausgleichspauschale (IAP) auszukehren, nicht jedoch an die Beschäftigten in der Tagespflege und an die durch den Teilbetriebsübergang ausgeschiedenen Arbeitnehmer. Allerdings bekamen die Mitarbeiter der Intensivwohngruppe von dem Betriebserwerber eine IAP i.H.v. 50 % ausgezahlt.
Die Klägerin war der Ansicht, ihr stehe gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Zahlung der IAP i.H.v. 1.425 € (50%, entsprechend ihrem Beschäftigungsumfang) aufgrund einer Gesamtzusage zu. Die Beklagte verweigerte eine Zahlung. Sie behauptete, dass im Gegensatz zu dem ambulanten Pflegebereich weder für den Bereich der Tagespflege noch für den der Intensivpflege von den Kranken-/Pflegekassen eine Refinanzierung der IAP zugesagt worden sei. Für den Bereich der Intensivpflege treffe jede Krankenkasse eigene Entscheidungen und schließe auch eigene Pflegeverträge ab. Für diesen Bereich sei eine Refinanzierung nicht zugesagt worden. Sie habe erst im Oktober 2023 über die Zahlung einer IAP entschieden und diese nur an die Mitarbeiter der ambulanten Pflege ausgezahlt, weil nur für diese Mitarbeiter die Refinanzierung durch die Krankenkasse sichergestellt worden sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Zahlung abgewiesen. Das LAG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt.
Die Gründe:
Gesetzliche Ansprüche auf die IAP folgten mangels Leistungsverpflichtung der Beklagten nicht aus dem Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz vom 19.10.2022 bzw. § 3 Nr. 11c EStG. Auch aus § 72 Abs. 3b SGB XI konnte die Klägerin keinen Anspruch herleiten. Wie das Arbeitsgericht zutreffend begründet hat, erwächst aus der Norm kein Leistungsanspruch für den einzelnen Arbeitnehmer. Zudem fällt die IAP als freiwillige Leistung des Arbeitgebers nach § 3 Nr. 11c EStG nicht unter die von § 72 Abs. 3b SGB XI erfassten (Mindest-)Entgeltbestandteile.
Auch der Arbeitsvertrag enthielt keine Verpflichtung zur Zahlung einer IAP an die Klägerin. Die AVR des Deutschen Caritasverbandes fand hier keine Anwendung. Aus der "Anlehnung" der Beklagten an die AVR Caritas erwuchs kein Anspruch auf die Zahlung einer IAP. Wie das Arbeitsgerecht zutreffend herausarbeitet hat, verpflichtete sich die Beklagte hierdurch lediglich, die Klägerin nach den in 72 Abs. 3b Satz 2 Nr. 1-6 SGB XI genannten (Mindest)Entgeltbestandteilen zu vergüten, worunter die IAP als freiwillige Leistung nicht fiel.
Die Klägerin konnte auch keinen Anspruch auf Zahlung der IAP aus einer Gesamtzusage der Beklagten herleiten bzw. keinen Anspruch auf Zahlung der IAP wegen Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes geltend machen. Die Beklagte hatte ausdrücklich nur für den Bereich der ambulanten Pflege die Entscheidung getroffen, eine IAP auszuzahlen und im Gegensatz dazu keine Auszahlung an den Bereich der Tagespflege und der Intensivpflege beschlossen. Außerdem bestand zwischen der Klägerin, die bei der Entscheidung über die Zahlung der IAP bereits aus dem Arbeitsverhältnis mit den Beklagten ausgeschieden war, und den Mitarbeitern der ambulanten Pflege keine Vergleichbarkeit, zum anderen wäre selbst bei Annahme einer Vergleichbarkeit die erfolgte Ungleichbehandlung durch sachliche Gründe gerechtfertigt.
Wird die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie durch die Krankenkassen für Mitarbeiter im ambulanten Pflegebereich gem. §§ 132, 132a SGB V refinanziert, für Mitarbeiter in der außerklinischen Intensivpflege gem. § 132 l SGB V hingegen nicht, so ist die Differenzierung zwischen beiden Mitarbeitergruppen bei der Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie durch den Arbeitgeber aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Die fehlende Refinanzierungsmöglichkeit stellt keine bloß willkürliche oder sachfremde Rechtfertigung dar, sondern ist aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten unmittelbar nachvollziehbar.
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