14.10.2014

Keine Anwendung der sog. Einheit des Verhinderungsfalls beim Zusammentreffen einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge und einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit

In Fällen, in denen Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation nach § 9 Abs. 1 EFZG und eine Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit nach § 3 Abs. 1 EFZG zusammen treffen, sind die vom BAG entwickelten Grundsätze zur Einheit des Verhinderungsfalls nicht anwendbar. Die Billigkeitserwägungen, die maßgeblich zur Begründung der Rechtsprechung der Einheit des Verhinderungsfalls herangezogen wurden, begründen eine derartige Einschränkung der Entgeltfortzahlung nicht.

BAG 10.9.2014, 10 AZR 651/12
Der Sachverhalt:
Der Kläger war als Omnibusfahrer bei der Beklagten tätig. Im April 2010 beantragte der Kläger eine sog. Mutter-Vater-Kind-Kur nach § 24 SGB V, die ihm im Mai von seiner Krankenkasse für die Zeit vom 27.7. bis zum 17.8.2010 bewilligt wurde. Am 4.6.2010 wurde der Kläger dann wegen des Verdachts auf einen Herzinfarkt in ein Krankenhaus eingeliefert und war im Anschluss daran wegen einer "hypertensiven Herzkrankheit" bis zum 26.7.2010 arbeitsunfähig erkrankt.

In diesem Zeitraum leistete die Beklagte für die Dauer von sechs Wochen Entgeltfortzahlung. Für die Zeit der sich anschließenden Vorsorgekur erbrachte die Beklagte keine Zahlungen. Die Krankenkasse des Klägers teilte der Beklagten mit, die Vorsorgekur habe in keinem ursächlichen Zusammenhang mit einer Vorerkrankung gestanden.

Der Kläger forderte gerichtlich die Entgeltfortzahlung durch die Beklagte für die Dauer seiner Vorsorgekur nach § 24 SGB V. Er war der Ansicht, es liege kein einheitlicher Versicherungsfall vor. ArbG und LAG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob das BAG die Urteile auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück.

Die Gründe:
Mit der vom LAG gegebenen Begründung konnte die Klage nicht abgewiesen werden.

Der Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung für die Zeit der Vorsorgekur kann sich aus § 9 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 EFZG ergeben. Dem stand gerade nicht die Rechtsprechung zur sog. Einheit des Verhinderungsfalls entgegen. Diese findet nämlich auf das Verhältnis zwischen einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation und einer Arbeitsunfähigkeit aufgrund Erkrankung keine Anwendung. Entgegen der Auffassung des LAG kommt ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch dann in Betracht, wenn eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 1 EFZG mit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zusammentrifft.

Zwar stellt auch § 9 Abs. 1 S. 1 EFZG zur Begründung des Entgeltfortzahlungsanspruchs zunächst auf die Arbeitsverhinderung ab. Diese beruht aber regelmäßig gerade nicht auf einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit. Die Billigkeitserwägungen, die maßgeblich zur Begründung der Rechtsprechung der Einheit des Verhinderungsfalls herangezogen wurden, begründen eine derartige Einschränkung der Entgeltfortzahlung in den Fällen des § 9 Abs. 1 EFZG aber nicht. Hiergegen spricht, dass die Arbeitsverhinderung infolge Krankheit und die infolge einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation typischerweise auf ganz unterschiedlichen Ursachen beruhen und sich in den wirtschaftlichen Folgen für den Arbeitgeber unterscheiden.

Soweit der Erste Senat in seiner Entscheidung vom 12.9.1967 (Az.: 1 AZR 367/66) unter der Geltung des § 133c GewO a.F. den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls in einem Fall anwandte, in dem während einer laufenden Schonzeit nach einer Kur eine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit hinzugetreten war, konnte dahinstehen, ob der Charakter der nach heutigem Recht nicht mehr vorgesehenen Schonzeit eine solche Annahme rechtfertigte. Sollte die Entscheidung so verstanden werden können, dass auch Kurmaßnahmen mit einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit eine Einheit des Verhinderungsfalls bilden können, hält der nunmehr ausschließlich für Fragen der Entgeltfortzahlung zuständige Zehnte Senat daran nicht mehr fest.

Es steht aber noch nicht fest, ob die Arbeitsunfähigkeit und die Bewilligung der Vorsorgekur auf demselben Grundleiden beruhten und deshalb der Entgeltfortzahlungsanspruch gem. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG ausgeschlossen ist. Aus den Schreiben der Krankenkasse ließ sich zwar deren wertende Einschätzung erkennen, dass die stationäre Vorsorgekur "in keinem Zusammenhang mit einer Vorerkrankung" stehe bzw. "aufgrund einer anderen Erkrankung" durchgeführt worden sei. Tatsächliche Angaben zu dem Anlass für die Bewilligung der Maßnahme enthielt das Schreiben aber nicht.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf den Webseiten des BAG veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BAG online
Zurück