09.12.2025

Keine Bindung der Zivilgerichte an Umsatzsteueranmeldungen einer Partei

Bei einem Streit über die Umsatzsteuerpflichtigkeit einer Leistung sind die Zivilgerichte nicht an eine bloße Umsatzsteueranmeldung der Klägerseite gebunden, wenn nicht zugleich gesichert ist, dass die Steuerrechtslage im Steuerrechtsverhältnis des Beklagten zu seinem Finanzamt gleich beurteilt wird und die Neutralität zwischen Umsatzsteuerlast und Vorsteuerabzug gewahrt bleibt.

LAG Baden-Württemberg v. 12.11.2025 - 4 Sa 5/25
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung. Der Beklagte war für sie von Juli 2013 bis Juli 2020 tätig. Seit August 2020 ist er Partner bei der X. Nachdem der Beklagte sein Dienstverhältnis am 29.4.2020 gekündigt hatte, schlossen die Parteien zur Abwicklung ihrer Vertragsverhältnisse eine Austrittsvereinbarung. Dementsprechend führte der Beklagte bereits während der Vertragslaufzeit mit der Klägerin begonnene Insolvenzverfahren unter dem "Dach" von X fort. Außerdem war vorgesehen, dass die Insolvenzverwaltervergütungen, die er für die "mitgenommenen" Verfahren erhielt, zeitanteilig an die Klägerin abgeführt werden sollten.

Ohne Bezugnahme auf diese "Honorarrechnung" erteilte der Beklagte der Klägerin zwischen 2021 und 2023 "Gutschriften" für die abgeschlossenen Insolvenzverfahren und kehrte diese an sie aus. Die Zahlungen erfolgten jedoch netto ohne Umsatzsteuer. Die Klägerin fasste die Gutschriften in einer Tabelle zusammen und ermittelte den streitgegenständlichen Umsatzsteuerbetrag i.H.v. rund 300.385 €. Nach Abschluss der vom Beklagten fortgeführten Insolvenzverfahren führte X die auf die gesamte Insolvenzverwaltervergütung angefallene Umsatzsteuer an das Finanzamt ab.

Die Klägerin war der Ansicht, dass die vom Beklagten entrichteten Zahlungen umsatzsteuerpflichtig seien. Der Beklagte sei in Höhe der geltend gemachten Forderung verpflichtet, die Umsatzsteuer zu entrichten. Sein Ausscheiden habe zur Entstehung von Umsatzsteuer bei der Klägerin geführt. Nach dem Ausscheiden des Beklagten habe sie nämlich eine "sonstige Leistung" i.S.d. § 3 Abs. 9 UStG erbracht in Form der bislang im Rahmen der Verfahren gewährten Infrastrukturleistungen. Bemessungsgrundlage sei der Wert der "halbfertigen Leistungen" der jeweiligen fortgeführten Insolvenzverfahren im Zeitpunkt des Ausscheidens.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Entscheidungsrecht über die Rechtmäßigkeit einer Besteuerung obliege ausschließlich den Finanzbehörden, die an Entscheidungen der Zivilgerichtsbarkeit ohnehin nicht gebunden wären. Das LAG hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Allerdings wurde die Revision zum BAG zugelassen.

Die Gründe:
Ob sich hier vertraglich ergab, dass schuldrechtlich nur eine Teilvergütungsabführung in netto ohne Umsatzsteuer zu erfolgen hatte, konnte dahinstehen. Denn unabhängig von der Auslegung dieser Vertragsabrede konnte eine Verpflichtung zur Zahlung von Umsatzsteuer schuldrechtlich nur bestehen, wenn auch steuerrechtlich überhaupt ein umsatzsteuerpflichtiges Geschäft vorgelegen hätte. Und das war hier nicht der Fall. Im bloßen Wechsel eines angestellten Insolvenzverwalters von einer Insolvenzverwalterkanzlei in eine andere Insolvenzverwalterkanzlei unter "Mitnahme" der bereits begonnenen Insolvenzverwaltungsmandate liegt kein umsatzsteuerbarer Leistungsaustausch.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz bestand hier durchaus eine Prüfungsbefugnis der Zivilgerichte über die Frage der Umsatzsteuerpflichtigkeit. Zwar war der BGH im Jahr 2001 von einer Bindung der Zivilgerichte an bestandskräftige Entscheidungen der Finanzbehörden ausgegangen (Urt. v. 17.7.2001 - X ZR 13/99). Die Kammer folgte jedoch einer Entscheidung des OLG Hamm vom 28.1.2014 (19 U 107/13). Würde demnach eine Entscheidung über die Umsatzsteuerpflicht im Steuerrechtsverhältnis der Klägerin zu ihrem Finanzamt zu einer Bindungswirkung der Zivilgerichte bei einer Streitigkeit im Privatrechtsverhältnis führen, hätte dies zwangsläufig eine Folgewirkung zu Lasten des Beklagten in dessen Steuerrechtsverhältnis. Denn dieser müsste nun das Risiko tragen, dass sein Finanzamt in seinem Steuerrechtsverhältnis bei einer nachfolgenden Geltendmachung eines Vorsteuerabzugs die Steuerrechtslage genauso beurteilt wie das Finanzamt der Klägerseite.

Eine solche Risikoverschiebung mag in einer Fallgestaltung, die der BGH-Entscheidung zugrunde lag, in der jedenfalls das "Ob" einer Umsatzsteuerpflicht unstreitig war, noch angehen. Dort war nämlich nur über das "Wo" der Pflicht zur Umsatzsteuerabführung gestritten worden. Die vorliegende Fallgestaltung unterschied hiervon, dass gerade das "Ob" der Umsatzsteuerpflicht im Streit stand und vom Beklagten vehement in Abrede gestellt wurde. In der konkreten Anwendung auf den Fall wurde die Unzuträglichkeit einer etwaigen Risikoverschiebung durch eine Bindungswirkung noch deutlicher. Bislang gab es nämlich nur eine Umsatzsteueranmeldung durch die Klägerin gem. § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG, die jedoch gem. § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung i.S.d. § 164 AO entsprach.

Anders als in der BGH-Entscheidung gab es vorliegend keinen originär vom Finanzamt veranlassten Umsatzsteuerbescheid, verbunden mit einem angedrohten Haftungsbescheid. Vielmehr stand die selbst veranlasste Umsatzsteueranmeldung einem Steuerbescheid lediglich gleich, auch wenn kein Verwaltungsakt erlassen worden war. Die Revision war jedoch gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG für die Klägerin zuzulassen, da die Entscheidung von der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2001 abweicht.

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