07.11.2022

Kostentragungspflicht des Arbeitgebers bei Streitigkeiten zwischen Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen und ihrer Stellvertretung?

Die Schwerbehindertenvertretung besteht abgesehen vom Fall des § 178 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nur aus der Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen. Daher sind bei Streitigkeiten zwischen der Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen und ihrer Stellvertretung die Regelungen zur Kostentragungsverpflichtung des Arbeitgebers bei Streitigkeiten zwischen einem einzelnen Betriebsratsmitglied und dem Betriebsrat nicht einschlägig.

ArbG Herne v. 19.7.2022 - 2 BV 7/22
Der Sachverhalt:
In den von der Arbeitgeberin betriebenen Krankenhaus war die C. zur Vertrauensperson der Schwerbehinderten gewählt worden. Nach ihr erhielt D. die meisten Stimmen und war somit stellvertretende Vertrauensperson der Schwerbehinderten. Zwischen den beiden entstanden Streitigkeiten über die Rechte der stellvertretenden Vertrauensperson für Schwerbehinderte. Eine betriebsinterne Klärung scheiterte.

Der Antragsteller wurde als Rechtsanwalt von der stellvertretenden Vertrauensperson für Schwerbehinderte bevollmächtigt und leitete ein Beschlussverfahren ein. Mit Vereinbarung vom 7.7.2021 trat die stellvertretende Vertrauensperson für Schwerbehinderte an den Antragsteller einen Freistellungsanspruch hinsichtlich der entstehenden Anwaltskosten gegen die Arbeitgeberin ab. Im Gütetermin erklärte der Prozessbevollmächtigte der Vertrauensperson der Schwerbehinderten zu Protokoll, dass es der stellvertretenden Vertrauensperson der Schwerbehinderten jederzeit gestattet sei, das Büro der Vertrauensperson der Schwerbehinderten aufzusuchen und Einsicht zu nehmen in die Unterlagen sowie in den Dienst-PC mit vorherigem Anruf. Daraufhin nahm der Antragsteller den Antrag zurück.

Mit Rechnung vom 20.12.2021 bat der Antragsteller, die stellvertretende Vertrauensperson für Schwerbehinderte von seinen Rechtsanwaltskosten freizustellen, die er in dieser Rechnung auf rund 1.683 € bezifferte. Dies lehnte die Arbeitgeberin ab. Der Antragsteller ist der Ansicht, dass ein abgetretener Freistellungsanspruch aus § 179 Abs. 8 S. 1 SGB IX bestünde. Bei der Schwerbehindertenvertretung handele es sich weder um ein Kollegialorgan noch um ein Ein-Personen-Gremium. Im Betriebsverfassungsrecht sei anerkannt, dass Streitigkeiten zwischen dem Betriebsrat und einem einzelnen Betriebsratsmitglied durch den Arbeitgeber zu finanzieren seien.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen.

Die Gründe:
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Zahlung von 1.683 € gegen die Arbeitgeberin aus § 179 Abs. 8 SGB IX.

Zwar trägt nach § 179 Abs. 8 Satz 1 SGB IX die durch die Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung entstehenden Kosten der Arbeitgeber. Es handelte sich jedoch hier nicht um durch die Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung entstandene Kosten. Die Schwerbehindertenvertretung besteht aus der Vertrauensperson für Schwerbehinderte. Diese Auslegung ergibt sich aus § 178 Abs. 1 Satz 4 SGB IX, wonach in Betrieben und Dienststellen mit in der Regel mehr als 100 beschäftigten schwerbehinderten Menschen die Schwerbehindertenvertretung nach Unterrichtung des Arbeitgebers das mit der höchsten Stimmenzahl gewählte stellvertretende Mitglied zu bestimmten Aufgaben heranziehen kann. Dabei ist neben der Schwelle von 100 beschäftigten schwerbehinderten Menschen zu beachten, dass eine Heranziehung erfolgen kann, d. h. nicht muss.

Gedeckt wird diese Auslegung durch § 179 Abs. 3 SGB IX. Demnach besitzen die Vertrauenspersonen gegenüber dem Arbeitgeber die gleiche persönliche Rechtsstellung wie ein Mitglied des Betriebs-, Personal-, Staatsanwalts- oder Richterrats. Das stellvertretende Mitglied hingegen besitzt während der Dauer der Vertretung und der Heranziehung nach § 178 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die gleiche persönliche Rechtsstellung wie die Vertrauensperson, im Übrigen die gleiche Rechtsstellung wie Ersatzmitglieder der in Satz 1 genannten Vertretungen, d.h. etwa Ersatzmitglieder des Betriebs-  oder Personalrats.

Es lag weder ein Fall vor, in dem die stellvertretende Vertrauensperson für Schwerbehinderte die Vertrauensperson für Schwerbehinderte hätte vertreten müssen noch in dem sie nach § 178 Abs. 1 Satz 4 SGB IX herangezogen worden wäre. § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sieht vor, dass das stellvertretende Mitglied der Schwerbehindertenvertretung die Vertrauensperson (nur) im Fall der Verhinderung vertritt. Die von dem Antragsteller angeführte Pflicht oder Obliegenheit zur Abstimmung der Vertrauensperson und der stellvertretenden Vertrauensperson nach § 178 Abs. 1 S. 6 SGB IX setzt nach seinem eindeutigen Wortlaut eine Heranziehung der stellvertretenden Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen voraus, die hier gerade nicht vorlag. Daher waren auch die Regelungen zur Kostentragungsverpflichtung des Arbeitgebers bei Streitigkeiten zwischen einem einzelnen Betriebsratsmitglied und dem Betriebsrat nicht einschlägig.

Mehr zum Thema:

Aktionsmodul Arbeitsrecht:
Für klare Verhältnisse sorgen: Mit den Inhalten der erstklassigen Standardwerke zum Arbeitsrecht. Topaktuell mit Fachinformationen rund um die Corona-Krise. Zahlreiche bewährte Formulare auch mit LAWLIFT bearbeiten! Jetzt hier vorab online: die Neuauflage HWK Arbeitsrecht Kommentar! 4 Wochen gratis nutzen!
Justiz NRW
Zurück