10.01.2022

Pfändbarkeit von Corona-Prämien

Corona-Prämien, die einem Arbeitnehmer in der Gastronomie vom Arbeitgeber zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn gezahlt werden, können aufgrund ihrer Zweckbestimmung auch unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen als unpfändbare Erschwerniszuschläge gem. § 850 a Nr. 3 ZPO qualifiziert werden.

LAG Niedersachen v. 25.11.2021 - 6 Sa 216/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist im August 2015 zur Insolvenzverwalterin über das Vermögen von Frau M. bestellt worden. Diese war bei dem Beklagten zwischen dem 1.7. und 31.12.2020 als Küchenhilfe beschäftigt. Im September 2020 zahlte der Beklagte an Frau M. neben dem Festlohn von 1.350 € brutto und Sonntagszuschlägen von 66,80 € brutto eine Corona-Unterstützung i.H.v. 400 €.

Ausgehend von einem pfändungsrelevanten Nettoverdienst im September 2020 (Festlohn zzgl. Corona-Unterstützung ohne Sonntagszuschläge) i.H.v. rund 1.440 € netto errechnete die Klägerin einen pfändbaren Betrag von 182 € netto. Mit Schreiben vom 22.10.2020 forderte sie den Beklagten auf, diesen Betrag bis spätestens zum 5.11.2020 an sie abzuführen. Das lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, die Corona-Sonderzahlung sei unpfändbar.

Die Klägerin war der Ansicht, die Corona-Unterstützung sei pfändbar. Anders als im Pflegebereich, wo der Gesetzgeber nach § 150 a Abs. 8 Satz 4 SGB IX ausdrücklich die Unpfändbarkeit der Corona-Prämie geregelt habe, habe der Gesetzgeber hinsichtlich der Corona-Unterstützung geregelt, dass diese bis zwar zu einer Höhe von 1.500 € steuer- und abgabenfrei nicht jedoch, dass diese auch unpfändbar sei. Die Corona-Unterstützung könne auch nicht als Erschwerniszulage i.S.d. § 850 a Nr. 3 ZPO qualifiziert werden. Ihr Zweck bestehe allein darin, die besondere unverzichtbare Leistung der Beschäftigten in der Corona-Krise anzuerkennen, und sei mithin eine Art Treueprämie. Sie knüpfe nicht an eine besondere Erschwernis bei der Erbringung der Arbeitsleistung an. Ohnehin übersteige sie vorliegend der Höhe nach den Rahmen des Üblichen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auch die Berufung der Klägerin vor dem LAG blieb erfolglos. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BAG zugelassen.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 182 € nebst Zinsen. Das von der Schuldnerin, Frau M., im September 2020 beim Beklagten erzielte Einkommen ist insgesamt unpfändbar und damit dem Zugriff der Klägerin der Schuldnerin entzogen.

Auch im Insolvenzrecht hat der Gesetzgeber grundsätzlich anerkannt, dass das Existenzminimum nicht dem Zugriff der Gläubiger unterliegt. Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO gehören unpfändbare Forderungen nicht zur Insolvenzmasse. Sie sind dem Insolvenzverwalter nicht nach §§ 148 Abs. 1, 80 Abs. 1 InsO zur Verwaltung übertragen. Nur der pfändbare Teil des Arbeitsentgeltes fällt in die Insolvenzmasse und kommt daher in der Privatinsolvenz des Arbeitnehmers dessen Gläubigers zu Gute. So wird dem Schuldner der unantastbare Bereich persönlicher und lebensnotwendiger Güter bewahrt (BAG 29.1.2014 - 6 AZR 345/12).

Unpfändbar sind nach der im Insolvenzverfahren, § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, entsprechend geltenden Bestimmung des § 850 a Nr. 3 ZPO Aufwandsentschädigungen, Auslösungsgelder und sonstige soziale Zulagen für auswärtige Beschäftigungen, das Entgelt für selbstgestelltes Arbeitsmaterial, Gefahrenzulagen sowie Schmutz- und Erschwerniszulagen, soweit diese Bezüge den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen. Auch die der Schuldnerin im September 2020 gezahlte Corona-Prämie ist unpfändbar und damit dem Zugriff der Klägerin der Schuldnerin entzogen, §§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 Satz 2 InsO. Es handelt sich dabei um eine Erschwerniszulage i.S.v. § 850 a Nr. 3 ZPO.

Dem Rückgriff auf § 850 a Nr. 3 ZPO steht die Bestimmung in § 150 a Abs. 8 Satz 4 SGB IX nicht entgegen. Danach ist allein die obligatorische Corona-Prämie für bestimmte Pflegekräfte unpfändbar. Eine freiwillige Corona-Prämie in anderen Berufsbereichen wird von dieser Vorschrift nicht erfasst und ist als Arbeitsentgelt den allgemeinen Bestimmungen zum Pfändungsschutz für das Arbeitseinkommen gem. § 850 ff. ZPO zuzuordnen. Im Rahmen der gebotenen Auslegung erfasst der Begriff der Erschwernis in § 850 a Nr. 3 ZPO auch eine besondere Belastung bei der Arbeitsleistung (BAG 23.8.2017 - 10 AZR 859/16). Dazu gehören unter anderem die Umstände, die für die Gesundheit des Arbeitnehmers nachteilig sind und Maßnahmen zum Schutz und zur Sicherheit des Arbeitnehmers erfordern (vgl. BGH 29.6.2016 - VII ZB 4/15). Die Tätigkeit der Schuldnerin im gastronomischen Betrieb des Beklagten im September 2020 war für diese mit besonderen Belastungen und gesundheitlichen Risiken verbunden.

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