13.10.2015

Spartengewerkschaften scheitern mit Anträgen auf einstweilige Anordnung gegen Tarifeinheitsgesetz

Das Bundesverfassungsgericht hat die Eilanträge von drei kleinen Gewerkschaften gegen das Gesetz zur Tarifeinheit abgelehnt. Nur besonders schwerwiegende Nachteile können den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen. Derart gravierende Nachteile sind im Fall der von den Gewerkschaften angegriffenen neuen Kollisionsregel jedenfalls zurzeit nicht erkennbar.

BVerfG 6.10.2015, 1 BvR 1571/15
Der Sachverhalt:
Mit dem Tarifeinheitsgesetz vom 3.7.2015 wurde eine neue Kollisionsregel im Tarifvertragsrecht geschaffen. Die Vorschrift des § 4 a Abs. 2 Satz 2 TVG löst Tarifkollisionen durch das Mehrheitsprinzip auf: Wenn sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften in einem Betrieb überschneiden, kann gerichtlich festgestellt werden, dass nur der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gilt, die in diesem Betrieb die meisten Mitglieder hat. Die kleinere Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wird, kann sich dem Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft anschließen.

Bis zur Verabschiedung des angegriffenen Gesetzes war das Verhältnis mehrerer Tarifverträge zueinander nicht gesetzlich geregelt. Die Gerichte entschieden im Fall von Tarifkonflikten jedoch vor allem nach dem Spezialitätsprinzip. Bei mehreren Tarifverträgen innerhalb eines Betriebs verdrängte danach grundsätzlich der sachnähere den sachfremderen Tarifvertrag.

Drei Berufsgruppengewerkschaften - der Marburger Bund, die Vereinigung Cockpit und der Deutsche Journalisten-Verband - wandten sich gegen die neu eingeführte Regelung. Sie legten Verfassungsbeschwerde ein und machten mit ihren gleichzeitig gestellten Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor dem Bundesverfassungsgericht geltend, das Tarifeinheitsgesetz schränke ihr Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG ein und bedrohe ihre Existenz. Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Eilanträge ab. Die Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist noch offen. Sie soll bis zum Ende des nächsten Jahres erfolgen.

Die Gründe:
Es ist derzeit nicht feststellbar, dass die Beschwerdeführer bei Fortgeltung der angegriffenen Vorschrift bis zur Entscheidung in der Hauptsache gravierende, kaum revidierbare oder irreversible Nachteile erleiden.

Eine einstweilige Anordnung kommt nur in Betracht, wenn sich ihr Erlass im Rahmen einer Folgenabwägung für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung als zur Abwehr schwerer Nachteile dringend erforderlich darstellt. Soll ein Gesetz außer Vollzug gesetzt werden, sind die Hürden besonders hoch. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache spielen bei der Abwägung keine Rolle.

Es ist nicht absehbar, inwieweit es bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren tatsächlich in einem Ausmaß zu einer Anwendung der Kollisionsregel kommt, die eine einstweilige Anordnung begründen würde. Die Tarifvertragsparteien haben zudem verschiedene tarifpolitische Möglichkeiten, den Eintritt eines Kollisionsfalles zu vermeiden.

Irreversible oder existenzgefährdende Veränderungen im Mitgliederbestand der Beschwerdeführer und anderer kleiner Gewerkschaften sind nicht hinreichend konkret zu erwarten. Dass die Beschwerdeführer in ihrer Tariffähigkeit und damit in ihrer tarifpolitischen Existenz ernstlich gefährdet sind, ist daher nicht ersichtlich.

Bei einer erheblichen Änderung der tatsächlichen Umstände können die Beschwerdeführer jedoch einen erneuten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen. Die Sicherungsfunktion der einstweiligen Anordnung kann außerdem ihren Erlass von Amts wegen rechtfertigen.

Linkhinweis:
Für den auf den Webseiten des Bundesverfassungsgerichts veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier. Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts finden Sie hier.

BVerfG PM Nr. 73/2015 vom 9.10.2015
Zurück