02.04.2012

Sprechbehinderte Bewerber dürfen nicht wegen "fehlender Kommunikationsstärke" abgelehnt werden

Wird ein Bewerber mit Sprechstörung wegen fehlender "Kommunikationsstärke" abgelehnt, so kann die Vermutung gerechtfertigt sein, dass eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vorliegt. Der einstellende Arbeitgeber muss diesen Vermutungstatbestand nach § 22 AGG entkräften. Wäre die Stelle allerdings auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht mit dem behinderten Bewerber besetzt werden, so kann dieser lediglich eine Entschädigung i.H.v. maximal drei Monatsgehältern verlangen.

LAG Köln 26.1.2012, 9 Ta 272/11
Der Sachverhalt:
Der Kläger begehrte Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Klage auf Entschädigung und Schmerzensgeld wegen einer Benachteiligung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses aufgrund seiner Behinderung. Ausweislich eines Bescheids aus dem Jahr 1979 liegt beim Kläger wegen einer Sprechstörung (Stottern) eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit mit einem Grad von 30 vor.

Der Kläger bewarb sich 2011 auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle eines Arbeitsvermittlers. Nach einem Bewerbungsgespräch lehnte die Beklagte seine Bewerbung ab, weil andere Bewerber sie mehr überzeugt hätten. Diese seien insbesondere besser über ihr Jobcenter informiert und kommunikationsstärker gewesen.

Daraufhin verlangte der Kläger von der Beklagten wegen Benachteiligung aufgrund seiner Sprechbehinderung die Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. über 30.000 € und eine Entschädigung i.H.v. drei Monatsgehältern. Die Beklagte machte geltend, dass ihr im Bewerbungsgespräch keine Sprechstörung des Klägers aufgefallen sei. Im Übrigen habe sich die "Kommunikationsstärke" auch nicht auf die Art des Sprechens, sondern nur auf die Gesprächsführung bezogen.

Das Arbeitsgericht wies den PKH-Antrag ab. Auf die Beschwerde des Klägers bewilligte ihm das LAG zwar PKH, allerdings nur für eine Klage auf Zahlung einer Entschädigung i.H.v. drei Monatsgehältern.

Die Gründe:
Lediglich eine Klage auf Zahlung einer Entschädigung i.H.v. max. drei Monatsgehältern hat die für die Gewährung von PKH erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht.

Entgegen dem Arbeitsgericht ist der PKH-Antrag allerdings nicht vollständig abzuweisen. Denn nach dem Vorbringen des Klägers hat die Beklagte gegen das Verbot verstoßen, schwerbehinderte Beschäftigte wegen ihrer Behinderung bei der Bewerbung um eine Stelle zu benachteiligen. Ihre Berufung auf die fehlende Kommunikationsstärke des Klägers lässt durchaus den Schluss zu, dass eine beim Kläger vorhandene Sprechstörung (Stottern) zumindest ein Grund für die Ablehnung der Bewerbung war. Dass bei einer mündlichen Kommunikation der Redefluss gar keine Rolle spielt, ist nicht glaubhaft.

Bei nachgewiesener Sprechstörung wird die Beklagte diesen Vermutungstatbestand nach § 22 AGG zu entkräften haben. Selbst wenn ihr dieses misslingen sollte, muss sie allerdings gem. § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG lediglich eine Entschädigung i.H.v. maximal drei Monatsgehältern zahlen. Sie hat glaubhaft dargelegt, dass der Kläger auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Im Übrigen  liegt auch keine besonders schwere Persönlichkeitsverletzung vor, die einen Schmerzensgeldanspruch gem. § 823 BGB rechtfertigen könnte.

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