01.08.2013

Streik: Ermahnungen wegen verweigerter Arbeitsleistung sind aus Personalakten der Arbeitnehmer zu entfernen

Das LAG Baden-Württemberg hat in zwei Entscheidungen zu der Frage Stellung genommen, ob Ermahnungen wegen verweigerter Arbeitsleistung (Streik) aus den Personalakten der Arbeitnehmer zu entfernen sind. Darüber hinaus betrafen die Urteile die Frage, ob eine sechs Jahre andauernde Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr nur vorübergehend, sondern auf Dauer angelegt und somit nicht mehr von der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis gedeckt ist.

LAG Baden-Württemberg 31.7.2013, 4 Sa 18/13 u.a.
Der Sachverhalt:
Die Städte Ulm und Neu-Ulm betreiben gemeinsam die SWU Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm GmbH, die wiederum hundertprozentige Gesellschafterin der beklagten SWU Verkehr GmbH und der SWU Nahverkehr GmbH ist. Die Beklagte betreibt und unterhält die Infrastruktur/Netze. Die SWU Nahverkehr GmbH ist als interne Betreiberin für die Erbringung der Verkehrsleistungen zuständig. Früher war dies die Beklagte. Die SWU Nahverkehr GmbH, die über keine Fahrzeuge verfügt, hat die Verkehrsdienstleistungen an die in Augsburg ansässige S-GmbH vergeben, deren Gesellschaftsanteile zu 51,17 Prozent die Beklagte hält und die auch Büros in Neu-Ulm unterhält. Die Fahrzeuge werden jedoch auf dem Betriebsgelände der Beklagten in Ulm abgestellt. Dort befindet sich auch die Leitstelle und die Einsatzplanung wird von dort aus vorgenommen.

Die S-GmbH setzt für den Stadtverkehr Ulm/Neu-Ulm ca. 60 eigene Arbeitnehmer ein. I.Ü. erbringt sie ihre Verkehrsdienstleistungen mit ca. 130 Leiharbeitnehmern, die sie sich seit 2006 von der Beklagten entleiht, die seit diesem Zeitpunkt selbst keine Verkehrsdienstleistungen mehr erbringt. Die Kläger sind von der Beklagten an die S-GmbH verliehene Arbeitnehmer. Die Beklagte verfügt über eine unbefristete Arbeitnehmerüberlassungsgenehmigung. Am 26.5.2012 wurde die S-GmbH unter der Führung der Gewerkschaft ver.di ab Beginn der Frühschicht (4 Uhr) ganztägig bestreikt. Die Kläger machten gegenüber der Beklagten ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 11 Abs. 5 AÜG geltend, wonach Leiharbeitnehmer nicht verpflichtet sind, bei einem Entleiher tätig zu sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist.

Die Beklagte trägt demgegenüber vor, der Geschäftsführer der Beklagten und der SWU Nahverkehr GmbH habe beschlossen, den Fahrauftrag zur Aufrechterhaltung des Fahrbetriebs für den Streiktag an die Beklagte zu vergeben. Die Fahrzeuge seien der Beklagten für diesen Tag von der S-GmbH zur Verfügung gestellt worden. Die Kläger erhielten die Anweisung, an diesem Streiktag nicht für die Entleiherfirma in Leiharbeit zu fahren, sondern für sie selbst im originären Arbeitsverhältnis. Die Kläger verstanden dies als unzulässige Aufforderung zum Streikbruch und verweigerten die Arbeitsleistung. Die Beklagte erteilte den Klägern deshalb eine "Ermahnung", deren Entfernung aus der Personalakte die Kläger nunmehr begehren.

Das ArbG gab den Klagen statt. Die hiergegen gerichteten Berufungen der Beklagten hatten vor dem LAG keinen Erfolg. Die Revision zum BAG wurde zugelassen.

Die Gründe:
Die seit 2006 von der Beklagten betriebene Arbeitnehmerüberlassung war nicht mehr nur vorübergehend, sondern auf Dauer angelegt. Damit war sie nicht mehr von der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis der Beklagten gedeckt. Folge dieses Rechtsverstoßes ist, dass die Arbeitsverträge zwischen der Beklagten und den Klägern unwirksam wurden und neue Arbeitsverhältnisse zwischen den Klägern und der S-GmbH als zustande gekommen gelten, § 10 Abs. 1 AÜG. Die "Ermahnungen" wurden demnach nicht mehr vom richtigen Arbeitgeber ausgesprochen.

Selbst wenn man aber keinen Verstoß gegen das AÜG annehmen wollte, wären die Ermahnungen aus der Personalakte zu entfernen. Zwar konnten sich die Kläger nicht direkt auf das Leistungsverweigerungsrecht nach § 11 Abs. 5 AÜG berufen. Die Arbeitsaufforderung der Beklagten war aber auf eine sog. "direkte Streikarbeit" gerichtet, da die Kläger dieselbe Tätigkeit hätten verrichten sollen, die streikbedingt ausgefallen ist. Eine solche Arbeitserbringung war den Klägern unzumutbar. Die Beklagte hat ihr Direktionsrecht überschritten.

LAG Baden-Württemberg PM vom 31.7.2013
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