30.03.2015

Unterschiedliche Berücksichtigung von Berufserfahrung im TV-L verstößt gegen das EU-Recht

§ 16 Abs. 2 TV-L, wonach eine aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis zu demselben Arbeitgeber (also z.B. dem Land) erworbene Berufserfahrung zu einer anderen Stufeneinordnung führt als eine Berufserfahrung aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber, verstößt nach Auffassung des Arbeitsgerichts Berlin gegen das Unionsrecht. Diese Unterscheidung sei unvereinbar mit der europarechtlich gewährleisteten Freizügigkeit.

ArbG Berlin 18.3.2015, 60 Ca 4638/14
Der Sachverhalt:
Das Arbeitsgericht Berlin hatte im Rahmen eines Rechtsstreits über die zutreffende Eingruppierung eines Arbeitnehmers nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) zu entscheiden. Streitentscheidende Norm war insoweit § 16 Abs. 2 TV-L, der wie folgt lautet:

"Bei der Einstellung werden die Beschäftigten der Stufe 1 zugeordnet, sofern keine einschlägige Berufserfahrung vorliegt. Verfügen Beschäftigte über eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr aus einem vorherigen (...) Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber, erfolgt die Stufenzuordnung unter Anrechnung der Zeiten der einschlägigen Berufserfahrung aus diesem vorherigen Arbeitsverhältnis. Ist die einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden, erfolgt die Einstellung in die Stufe 2, beziehungsweise (...) in Stufe 3."

Das Arbeitsgericht Berlin entschied, dass die Norm gegen Unionsrecht verstößt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die Gründe:
Die in § 16 Abs. 2 TV-L vorgenommene Unterscheidung bei der Stufenzuordnung, je nachdem ob die Berufserfahrung bei demselben (öffentlichen) Arbeitgeber erworben wurde oder bei einem anderen Arbeitgeber, ist mit der europarechtlich gewährleisteten Freizügigkeit nicht vereinbar.

Das folgt aus dem Urteil des EuGH vom 5.12.2013 (Rs. C-514/12 - "Salzburger Landeskliniken"). Denn hiernach stellt eine unterschiedliche Anrechnung von Dienstzeiten aus vorherigen Arbeitsverhältnissen zur Ermittlung von Vergütungsstufen abhängig davon, ob diese bei einer Landeseinrichtung oder einem sonstigen Arbeitgeber erbracht wurden, eine unzulässige mittelbare Beeinträchtigung der durch Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 garantierten Freizügigkeit dar, weil sie sich auf grenzüberschreitend tätige Beschäftigte ("Wanderarbeitnehmer") in höherem Maße nachteilig auswirkt.

Dasselbe gilt für die vorliegende tarifvertragliche Anrechnungsregel. Dem steht nicht entgegen, dass § 16 Abs. 2 TV-L nicht auf Dienstzeiten, sondern auf einschlägige Berufserfahrung abstellt; dies ist kein für die Frage der mittelbaren Beeinträchtigung der Freizügigkeit erheblicher Unterschied.

Rechtsfolge der Unwirksamkeit von § 16 Abs. 2 TV-L ist, dass Zeiten aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber in gleichem Umfang anzurechnen sind wie die aus einem Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber.

LAG Berlin-Brandenburg PM Nr. 7/15 vom 18.3.2015
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