22.09.2023

Vergütungszahlung während einer Quarantäne wegen einer symptomlosen Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus

Wegen der gesetzgeberischen Ausgestaltung als Ausnahmetatbestand und unter Berücksichtigung der Risikoverteilung in einer Pandemie können bei einer behördlichen Quarantäneanordnung allenfalls wenige Tage einen verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum i.S.d. § 616 Satz 1 BGB darstellen. Hierbei sollte als Richtgröße eine Grenze von maximal fünf Tagen angenommen werden. Nahezu sämtliche Fragen rund um die rechtliche Behandlung einer symptomlosen Infektion und einer darauf gestützten Quarantäne sind umstritten und bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Infolgedessen wurde die Revision zugelassen.

Thüringer LAG v. 8.8.2023 - 1 Sa 41/23
Der Sachverhalt:
Die Beklagte betreibt Pflegeeinrichtungen. Die Klägerin ist dort seit dem 15.12.2020 als Pflegefachkraft zu einem Gehalt von zuletzt rund 3.196 € brutto beschäftigt. Bei einem betrieblichen Test wurde bei der Klägerin Anfang November 2021 eine Corona-Infektion festgestellt. Trotz bestehender Impfempfehlung war die Klägerin zu diesem Zeitpunkt nicht geimpft. Aufgrund behördlicher Anordnung des Gesundheitsamtes wurde der Klägerin auferlegt, im Zeitraum vom 6.11. bis zum 18.11.2021 einer häuslichen Quarantäne nachzukommen. Die Infektion der Klägerin verlief symptomlos. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum der Quarantäne legte sie nicht vor.

Die Beklagte zahlte daraufhin an die Klägerin für November 2021 unter Abzug des Zeitraums vom 6.11. bis 15.11.2021 statt dem vollen nur einen Betrag von 2.130 € brutto. Die Klägerin machte die Auszahlung des Differenzbetrages von 1.065 € brutto geltend, was die Beklagte ablehnte. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BAG zugelassen.

Die Gründe:
Zutreffend hat das Erstgericht einen Anspruch der Klägerin aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG verneint.

Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht nur im Falle einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin war vorliegend jedoch symptomlos mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert. Eine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit lag nicht vor. Zwar wird vereinzelt vertreten, bereits die Infektion an sich stelle auch im Falle eines symptomlosen Verlaufs einen regelwidrigen Körper- und Geisteszustand dar und habe damit Krankheitswert i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Von der wohl h.M. wird demgegenüber angenommen, dass im Falle einer symptomlosen Infektion eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes ausscheidet.

Die erkennende Kammer sieht - wie das Erstgericht - auch einen klägerischen Anspruch aus § 616 Satz 1 BGB als nicht gegeben an. Zwar lag ein personenbedingtes Leistungshindernis vor. Denn die Klägerin war wegen der durch die Virus-Infektion ausgelösten Quarantäneanordnung im streitgegenständlichen Zeitraum an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert. Eine Quarantäneanordnung wegen einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus stellt nach Auffassung der Kammer ein persönliches, nicht ein objektives Leistungshindernis dar. Die Pandemie ist zwar ein weltweites Ereignis, trotzdem verwirklicht sich bei der Anordnung einer Absonderung ein personenbezogener Gefahrenverdacht. Der Klägerin blieb aber ein Anspruch aus § 616 Satz 1 BGB trotz des Vorliegens eines subjektiven Leistungshindernisses deshalb verwehrt, weil die ihr gegenüber angeordnete Quarantäne eine verhältnismäßig erhebliche Zeit der Verhinderung darstellte.

Unerlässliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines Vergütungsanspruchs aus § 616 Satz 1 BGB ist, dass der dem Leistungshindernis zugrundeliegende Zeitraum einen verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum ausmacht. Wegen der gesetzgeberischen Ausgestaltung als Ausnahmetatbestand und unter Berücksichtigung der Risikoverteilung in einer Pandemie können bei einer behördlichen Quarantäneanordnung allenfalls wenige Tage einen verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum i.S.d. § 616 Satz 1 BGB darstellen. Hierbei sollte als Richtgröße eine Grenze von maximal fünf Tagen angenommen werden.

Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 56 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 IfSG schied ebenfalls aus. Denn der Arbeitgeber ist für einen Anspruch aus § 56 Abs. 1, Abs. 5 IfSG nicht passivlegitimiert (Anschluss an LAG Düsseldorf, Beschl. v. 10.10.2022 - 3 Ta 278/22). Dies führt - unabhängig von der Frage des eröffneten Rechtswegs - zur Unbegründetheit einer hierauf gestützten Klage gegen den Arbeitgeber.

Nahezu sämtliche Fragen rund um die rechtliche Behandlung einer symptomlosen Infektion und einer darauf gestützten Quarantäne sind umstritten und bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Infolgedessen wurde die Revision zugelassen.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Arbeitsrechtliche Fragen der Impf- und der Testverweigerung
Richard Giesen, ZFA 2021, 440

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