18.08.2023

Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO bei betriebsbedingter Kündigung in der Insolvenz

Ist eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG geplant und schließen der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat darüber einen Interessenausgleich mit Namensliste, wird nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO vermutet, dass die Kündigung des in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmers durch dringende betriebliche Erfordernisse i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs muss sich die Betriebsänderung noch in der Planungsphase befinden, damit dem Betriebsrat entsprechend dem Zweck des § 111 BetrVG eine Einflussnahme auf die unternehmerische Entscheidung möglich ist.

BAG v. 17.8.2023 - 6 AZR 56/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger war seit 2011 bei der Insolvenzschuldnerin, einem Unternehmen der Herstellung und des Vertriebs von Spezialprofilen aus Stahl und Stahlerzeugnissen mit ca. 400 Arbeitnehmern, tätig. Der beklagte Insolvenzverwalter schloss vor dem Hintergrund einer geplanten Betriebsstilllegung mit dem bei der Schuldnerin gebildeten Betriebsrat am 29.6.2020 einen Interessenausgleich mit drei verschiedenen, insgesamt sämtliche Arbeitnehmer aufführenden Namenslisten. Der Kläger war auf der zweiten Liste namentlich genannt.

Nach Unterzeichnung des Interessenausgleichs kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis des Klägers betriebsbedingt mit Schreiben vom 29.6.2020 zum 31.5.2021 und wegen einer behaupteten Schwerbehinderung vorsorglich ein weiteres Mal mit Schreiben vom 20.8.2020 zum selben Kündigungstermin. Das LAG gab der Klage statt und sah die Kündigungen als unwirksam an. Auf die Revision des Beklagten hob der BAG das Urteil des LAG auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Die Kündigung vom 20.8.2020 hat das Arbeitsverhältnis des Klägers, der rechtskräftig festgestellt keinen besonderen Kündigungsschutz infolge einer Schwerbehinderung genießt, wirksam zum 31.5.2021 beendet.

Die Kündigung ist jedenfalls aufgrund der Vermutung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, wirksam. Entgegen der Annahme des LAG hat der Beklagte hinreichend dargelegt, dass die der Kündigung zugrundeliegende Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG gem. § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO geplant war. Die diesbezügliche Vermutungswirkung hat der Kläger nicht widerlegt. Auf die Wirksamkeit der zum selben Beendigungstermin ausgesprochenen Kündigung vom 29.6.2020 und die im Lauf des Verfahrens von den Parteien erörterten prozessualen Probleme kam es für die Entscheidung daher nicht an.

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Rechtsprechung (Vorinstanz):
Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO
Darlegungs- und Beweislast für die Tatbestandsvoraussetzungen der Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO Betriebsstilllegung i.S.d § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG
Zeitpunkt der Kündigungserklärung im Falle einer geplanten Betriebsstilllegung

LAG Hamm vom 13.01.2023 - 16 SA 485/21

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BAG PM Nr. 32 vom 17.8.2023
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