06.05.2011

Verstoß gegen EMRK rechtfertigt in Altfällen keine Wiederaufnahme eines Kündigungsschutzverfahrens

 Die Feststellung der Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellt zwar nach § 580 Nr. 8 ZPO n.F. einen Wiederaufnahmegrund für nach nationalem Recht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren dar. Dies gilt gem. § 35 EGZPO aber nicht für vor dem 31.12.2006 rechtskräftig abgeschlossene Verfahren, so dass die Restitutionsklage eines wegen Ehebruchs gekündigten Kirchenmusikers, dessen Individualbeschwerde vor dem EGMR Erfolg gehabt hatte, abzuweisen war.

LAG Düsseldorf 4.5.2011, 7 Sa 1427/10
Der Sachverhalt:
Der Kläger des Ausgangsverfahrens war Organist einer katholischen Kirchengemeinde in Essen. 1994 trennte er sich von seiner Ehefrau und lebte ab 1995 mit einer neuen Partnerin zusammen, die später ein Kind von ihm bekam. Die Gemeinde kündigte das Arbeitsverhältnis wegen Ehebruchs und Bigamie.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Arbeitsgericht und dem LAG zunächst Erfolg. Nachdem das BAG das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen hatte, wies dieses die Klage ab. Die daraufhin vom Kläger erhobene Verfassungsbeschwerde nahm das BVerfG im Jahr 2002 nicht zur Entscheidung an.

Das EGMR stellte am 23.9.2010 (Beschwerde-Nr. 1620/03) fest, dass die Kündigung gegen Art. 8 EMRK verstößt. Die katholische Kirche dürfe einen Arbeitnehmer nicht ohne weiteres wegen Ehebruchs entlassen. Gerichte, die eine solche Kündigung zu überprüfen hätten, müssten zwischen den Rechten beider Parteien abwägen und die Art der Tätigkeit berücksichtigen. Auf Seiten des Arbeitnehmers seien dabei dessen Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens und seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu beachten. Diesen Anforderungen werde das angefochtene Urteil des LAG nicht gerecht.

Mit seiner daraufhin erhobenen Restitutionsklage begehrte der Kläger die Wiederaufnahme seines rechtskräftig abgeschlossenen Kündigungsschutzverfahrens. Das LAG wies die Klage ab, ließ allerdings die Revision zum BAG zu.

Die Gründe:
Eine Wiederaufnahme des ursprünglichen Kündigungsschutzverfahrens kommt nicht in Betracht. § 580 Nr. 8 ZPO sieht zwar als Wiederaufnahmegrund für ein nach nationalem Recht rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren die Feststellung der Verletzung der EMRK durch den EGMR vor. Dieser neu eingeführte Restitutionsgrund ist hier jedoch nicht anwendbar, weil er aufgrund der Übergangsvorschrift des § 35 EGZPO nicht auf Verfahren anzuwenden ist, die vor dem 31.12.2006 rechtskräftig abgeschlossen worden sind. Dies ist vorliegend der Fall.

Die Übergangsregelung ist wirksam. Der nationale Gesetzgeber war weder nach deutschem Verfassungsrecht noch aufgrund der EMRK verpflichtet, einen eigenen Restitutionsgrund für den Fall der Feststellung der Verletzung der EMRK durch den EGMR zu schaffen. Schafft der nationale Gesetzgeber einen solchen Wiederaufnahmegrund aber ohne rechtliche Verpflichtung, so begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn er aus Gründen der Rechtssicherheit und aus Vertrauensschutzgesichtspunkten die Einführung mit einer Stichtagsregelung verbindet.

Im Streitfall kommt hinzu, dass der Kläger auch die Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO von fünf Jahren für die Erhebung der Restitutionsklage nicht eingehalten hat.

Weitere Informationen zum Thema:
In den Heften 2 und 3/2011 des Arbeits-Rechts-Beraters bzw. in ArbRB online finden Sie eine Besprechung der Entscheidung des EGMR (ArbRB 2011, 66 [Kotthaus]) sowie einen Aufsatz zum Thema "Kündigung im kirchlichen Arbeitsverhältnis - Die aktuelle EGMR-Rechtsprechung und weitere Besonderheiten" (Wortmann, ArbRB 2011, 52).

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LAG Düsseldorf PM vom 4.5.2011
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