22.03.2021

Verstoß gegen Mitbestimmungsrecht bei Erstellung der Grundlagen für eine Gefährdungsbeurteilung begründet keinen Anspruch auf Unterlassen des Umzugs der Betriebsstätte

Der Betriebsrat hat im Hinblick auf den beabsichtigten Umzug einer Betriebsstätte und der Inbetriebnahme eines neuen Arbeitsmittels keinen Anspruch auf Unterlassung dieses Umzugs, auch wenn der Arbeitgeber entgegen den §§ 3 Abs. 3 ArbStättVO, 4 Abs. 1 BetrSichVO keine mitbestimmte Gefährdungsbeurteilung durchgeführt hat.

LAG Schleswig-Holstein v. 12.1.2021 - 1 TaBVGa 4/20
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über die Inbetriebnahme einer neuen Paketverteilanlage. Der Betriebsrat bemängelt, dass die Gefährdungsbeurteilung für die neue Anlage unter Verstoß gegen sein Mitbestimmungsrecht zustande gekommen sei.

Der Betriebsrat klagt im Hauptsacheverfahren vor dem ArbG mit dem Ziel, der Arbeitgeberin die Aufnahme von Tätigkeiten in der Anlage vor Erstellung einer mitbestimmten Gefährdungsbeurteilung zu untersagen. Das ArbG lehnte den Erlass einer einstweiligen Verfügung ab.

Das LAG hat nun auch die dagegen eingelegte Beschwerde abgelehnt.

Die Gründe:
Der vom Betriebsrat gerügte Verstoß der Arbeitgeberin gegen ihr Mitbestimmungsrecht bei der Erstellung der Grundlagen für eine Gefährdungsbeurteilung rechtfertigt nicht die Untersagung der Tätigkeitsaufnahme in der neuen Paketverteilanlage. Der dem Betriebsrat dem Grunde nach zustehende Unterlassungsanspruch ist nicht auf diese Rechtsfolge hin gerichtet.

Die aus Sicht des Beschwerdegerichts unzweifelhaft vorliegende Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats (§§ 3 Abs. 3 ArbStättVO, 4 Abs. 1 BetrSichVO) liegt vorliegend darin, dass die Arbeitgeberin es unterlassen hat, vor Durchführung der Gefährdungsbeurteilung mit dem Betriebsrat über deren Grundlagen eine Vereinbarung herbeizuführen, nicht darin, dass sie die Gefährdungsbeurteilung selbst bereits vor Einigung mit dem Betriebsrat über deren Grundlagen durchgeführt hat. Dass sie diese Gefährdungsbeurteilung nicht vor Inbetriebnahme der Paketverteilanlage vorgenommen hat, begründet wiederum eine Ordnungswidrigkeit i.S.d. genannten Vorschriften. Zu deren Sanktionierung ist die zuständige Ordnungsbehörde berufen, nicht der Betriebsrat, der auch sonst die Einhaltung der zugunsten der Arbeitnehmer gesetzlichen Vorschriften zu überwachen hat (§ 80 Abs. 1 BetrVG), aber nicht für deren Durchsetzung, ggf. durch Erlass eines Bußgeldbescheids, zuständig ist.

Mitzubestimmen hat der Betriebsrat (nur) bei der Festlegung der Regelungen, nach denen die Gefährdungsbeurteilung erfolgen soll. Der Zeitpunkt, an dem die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist, unterliegt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats, sondern ist als ordnungsrechtliche Vorschrift gesetzlich vorgegeben. Auch die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung als tatsächliche Handlung erfolgt ohne Beteiligung des Betriebsrats.

Folge der einseitig durch den Arbeitgeber erfolgten Gefährdungsbeurteilung ist daher deren Unwirksamkeit. In diesem Umstand liegt das zu beseitigende betriebsverfassungswidrige Verhalten der Arbeitgeberin. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht fort. Es ist nicht etwa durch Zeitablauf erloschen, weil mittlerweile die Paketverteilanlage in Betrieb genommen wurde. Regelungen über die Grundlagen der Gefährdungsbeurteilung können und müssen auch jetzt noch vereinbart werden. Die Durchsetzung dieses Anspruchs des Betriebsrats ist dem Einigungsstellenverfahren vorbehalten.
Justiz Schleswig-Holstein online
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