25.04.2012

"Whistleblowing" kann Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen

Hat ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber angezeigt, ohne vorher mit ihm eine Klärung versucht zu haben, so kann das Arbeitsverhältnis gerichtlich gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen sein. In einem solchen Fall ist eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien regelmäßig nicht zu erwarten. Insoweit ist auch nicht erforderlich, dass die Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft gerichtet ist. Vielmehr reicht es aus, wenn eine Anzeige bei einer Behörde zu Ermittlungen gegen den Arbeitgeber führt.

LAG Schleswig-Holstein 20.3.2012, 2 Sa 331/11
Der Sachverhalt:
Der Kläger war bei der Beklagten als Vertriebsingenieur beschäftigt. 2009 war er mehrere Monate arbeitsunfähig krank. Nach seiner Gesundung befand er sich - neben anderen Kollegen - in Kurzarbeit Null. Die Beklagte versuchte in dieser Zeit ohne Erfolg, den Kläger zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags bewegen. Im März 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich, weil zwei eng mit ihm zusammenarbeitende Kollegen, die für hohen Umsatz sorgten, gedroht hätten, bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers selbst zu kündigen.

Das Arbeitsgericht gab der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage statt.

Vor dem LAG stellte die Beklagte den Antrag, das Arbeitsverhältnis ggf. gegen den Willen des Klägers gegen Zahlung einer geringen Abfindung aufzulösen, weil eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr erwartet werden könne. Der Kläger hatte nämlich mehrmals gegenüber der Bundesagentur für Arbeit geäußert, dass die Beklagte gezielt Kurzarbeitsleistungen missbrauche, woraufhin die Behörde eine Strafanzeige gegen die Arbeitgeberin erstattet hatte. Diese führte zu einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen sie mit derzeit unbekanntem Ausgang.

Das LAG bestätigte die die Kündigungsschutzklage stattgebende Entscheidung des Arbeitsgerichts, gab allerdings dem Auflösungsantrag statt.

Die Gründe:
Die Kündigung war unwirksam. Bevor ein Arbeitgeber auf Druck von Arbeitskollegen eventuell kündigen darf, muss er konkrete Maßnahmen ergriffen haben, um die Drucksituation zu beseitigen. Die Maßnahmen muss er zudem im Prozess darlegen. Hieran fehlt es im Streitfall. Der Hinweis der Beklagten auf allgemeine Gespräche reicht insoweit nicht aus.

Dem Auflösungsantrag der Beklagten war allerdings stattzugeben. § 9 KSchG sieht die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers vor, wenn die Kündigung unwirksam ist, jedoch  Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

Zwar kann es Situationen geben, in denen ein Arbeitnehmer berechtigt ist, trotz seiner Verpflichtung zur Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber und zur Vertraulichkeit nach außen zu gehen. Im Streitfall kann die Beklagte aber nicht sicher sein, dass der Kläger künftig bei auftretenden Missständen oder Meinungsverschiedenheiten zunächst das Gespräch im Betrieb der Beklagten suchen wird. Das hat er auch jetzt, als er in Kurzarbeit geschickt wurde, nicht getan. Erst nach Zugang der Kündigung hat er die Anzeige bei der Agentur für Arbeit erstattet. Eine vorherige Klärung mit der Beklagten hat er nicht versucht.

Aufgrund des gezeigten Verhaltens des Klägers muss die Beklagte erwarten, dass jede Meinungsverschiedenheit mit dem Kläger zur Einschaltung von Behörden, ggf. zu Strafanzeigen und zu starken Belastungen des betrieblichen Friedens führen wird. Unabhängig vom möglichen Ausgang des Ermittlungsverfahrens kann daher der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger nicht zugemutet werden.

Linkhinweis:
Für den in der Rechtsprechungsdatenbank der Arbeitsgerichtsbarkeit Schleswig-Holsteins veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier (PDF-Datei).

LAG Schleswig-Holstein PM Nr. 5/2012
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