03.04.2020

Wohnsitz in Bundesland als Voraussetzung für Übernahme der Schülerbeförderung diskriminiert Grenzarbeitnehmer und ihre Familien

Eine Maßnahme, die einem Bundesland erlaubt, die Übernahme der Schülerbeförderung von der Voraussetzung eines Wohnsitzes in diesem Bundesland abhängig zu machen, stellt eine mittelbare Diskriminierung von Grenzarbeitnehmern und ihrer Familie dar. Im Fall der Schülerbeförderung im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz ist dieses Wohnsitzerfordernis nicht durch die effiziente Organisation des Schulsystems als zwingender Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt.

EuGH v. 2.4.2020 - C-830/18
Der Sachverhalt:
Der Kläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit und besucht eine Realschule plus im Landkreis Südliche Weinstraße in Rheinland-Pfalz, wohnt aber mit seinen Eltern, die ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, in Frankreich. Seine Mutter arbeitet in Deutschland. Ab dem Schuljahr 2015-2016 weigerte sich der Landkreis, die Schülerbeförderungskosten des Klägers zu übernehmen, weil er nach den rheinland-pfälzischen Rechtsvorschriften nur verpflichtet sei, die Schülerbeförderung für die Schüler zu übernehmen, die in diesem Bundesland wohnen.

Das VG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Das im Berufungsverfahren mit der Sache befasste OVG möchte nun vom EuGH wissen, ob eine Maßnahme, die die Übernahme der Schülerbeförderung durch ein Bundesland von einem Wohnsitz in diesem Bundesland abhängig macht, eine mittelbare Diskriminierung von Wanderarbeitnehmern darstellt. Für den Fall, dass diese Frage bejaht wird, möchte das OVG wissen, ob diese Voraussetzung durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein könnte, und zwar die Notwendigkeit, eine effiziente Organisation des Schulwesens sicherzustellen.

Die Gründe:
Die Mutter des Klägers, die deutsche Staatsangehörige ist und ihren Arbeitsplatz in Deutschland behalten, ihren Wohnsitz aber nach Frankreich verlegt hat, kann sich als Wanderarbeitnehmerin gegenüber ihrem Herkunftsmitgliedstaat (also Deutschland) auf den Grundsatz der Gleichbehandlung berufen (Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union). Eine Maßnahme, die die Erstattung der Schülerbeförderungskosten von einem Wohnsitz im betreffenden Bundesland abhängig macht, kann sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, auswirken. Sie stellt daher eine mittelbare Diskriminierung dar, die durch das Unionsrecht grundsätzlich verboten ist.

Die Tatsache, dass die inländischen Arbeitnehmer, die in den anderen Bundesländern wohnen, ebenfalls diesem Erfordernis unterliegen, ist insoweit irrelevant. Das in Rede stehende Erfordernis stellt zudem nicht nur eine mittelbare Diskriminierung, sondern auch eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar, da es Staatsangehörige eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten kann, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um ihr Recht auf Freizügigkeit auszuüben.

Im Hinblick auf die etwaige Rechtfertigung des in Rede stehenden Wohnsitzerfordernisses ist anzuerkennen, dass die Organisation des rheinland-pfälzischen Schulsystems ein legitimes Ziel darstellen kann. Jedoch belegt die Tatsache, dass der Landkreis oder die kreisfreie Stadt, in deren Gebiet der Schüler den Wohnsitz hat, die Beförderungskosten trägt, wenn eine Schule außerhalb von Rheinland-Pfalz besucht wird, dass die Organisation der Schülerbeförderung auf der Ebene des Bundeslandes nicht untrennbar mit der Organisation des Schulwesens innerhalb dieses Bundeslandes verknüpft ist. Folglich weisen die rheinland-pfälzischen Vorschriften über die Schülerbeförderung keine hinreichend enge Verbindung mit der Organisation des Schulwesens auf, dass davon ausgegangen werden könnte, dass diese Vorschriften ein legitimes Ziel verfolgen.

Jedenfalls kann das dem Kläger entgegengehaltene Wohnsitzerfordernis nicht als für die Planung und Organisation der Schülerbeförderung unabdingbar angesehen werden, da, wie das OVG ausführt, andere Maßnahmen in Betracht gezogen werden könnten. Insbesondere könnte für die Berechnung der zu erstattenden Schülerbeförderungskosten der Wohnsitz des Schülers fiktiv dorthin verlegt werden, wo die Luftlinie zwischen tatsächlichem Wohnort und nächstgelegener Schule die Landesgrenze schneidet. Jedenfalls stellen dach alldem praktische Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der effizienten Organisation der Schülerbeförderung auf regionaler Ebene keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, der eine als mittelbare Diskriminierung eingestufte nationale Maßnahme rechtfertigen kann.
EuGH PM Nr. 41 vom 2.4.2020
Zurück