31.01.2012

Zeitarbeitsunternehmen können wegen Tarifunfähigkeit der CGZP zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen werden

Hat eine Zeitarbeitsfirma auf die Arbeitsverhältnisse der bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmer die CGZP-Tarifverträge angewendet, so kann die Deutsche Rentenversicherung Bund - auch für die Vergangenheit - Beiträge auf der Grundlage der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten und dem beim Entleiher üblichen Lohn nachfordern. Dieser Differenzbetrag darf auch geschätzt werden. Liegt allerdings für den fraglichen Zeitraum schon ein bestandskräftiger Bescheid vor, so muss dieser zunächst gem. § 45 Abs. 1 SGB X zurückgenommen werden.

SG Dortmund 23.1.2012, S 25 R 2507/11 ER
+++ Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin ist eine Personalagentur aus Bochum. Auf die Arbeitsverhältnisse der bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmer wandte sie die CGZP-Tarifverträge an, die geringere Vergütungen vorsahen als die Löhne, die in den Entleiherunternehmen üblicherweise gezahlt wurden. Die Deutsche Rentenversicherung Bund (Antragsgegnerin) hatte von der Antragstellerin mit bestandskräftigem Bescheid vom 14.4.2010 für den Prüfzeitraum von Dezember 2006 bis Dezember 2009 einen Betrag von rund 1.400 Euro nachgefordert.

Nachdem das BAG mit Beschluss vom 14.12.2010 (Az.: 1 ABR 19/10) die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt hatte, führte die Antragsgegnerin bei der Antragstellerin eine erneute Betriebsprüfung für den Prüfzeitraum von Dezember 2005 bis Dezember 2009 durch. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Arbeitnehmer der Antragstellerin gem. § 10 Abs. 4 AÜG wegen der Unwirksamkeit der CGZP-Tarifverträge wie die Stammbelegschaft der entleihenden Unternehmen hätten bezahlt werden müssen, und forderte die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen auf der Grundlage der Differenz zwischen dem von der Antragstellerin gemeldeten Arbeitsentgelt und der beim Entleiher üblichen Vergütung.

Da die Antragsgegnerin den Verwaltungsaufwand für unverhältnismäßig hoch hielt, schätzte sie die Lohndifferenz auf 24 %. Auf dieser Grundlage nahm sie die Antragstellerin auf Nachzahlung von 64.000 Euro in Anspruch. Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch und beantragte im einstweiligen Rechtsschutz die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Hiermit hatte sie vor dem SG Dortmund Erfolg.

+++ Die Gründe:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs war anzuordnen, da nach der gebotenen summarischen Prüfung ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheids bestehen.

Es bestehen allerdings keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung an sich. Die Antragsgegnerin ist grds. berechtigt, von Zeitarbeitsfirmen nachträglich Sozialversicherungsbeiträge zu erheben, soweit diese ihre Leiharbeitnehmer bislang auf der Grundlage der CGZP-Tarifverträge schlechter bezahlt haben als Stammarbeitnehmer der entleihenden Unternehmen.

Durch die Verweisung auf die CGZP-Tarifverträge ist der sich aus § 10 Abs. 4 AÜG ergebende Equal-Pay-Anspruch der Leiharbeitnehmer nicht abbedungen worden, da die CGZP zu keinem Zeitpunkt tariffähig war. Dem steht nicht entgegen, dass das BAG die Tarifunfähigkeit der CGZP möglicherweise nur für die Gegenwart festgestellt hat. Denn eine solche Feststellung nach § 97 ArbGG ist nur deklaratorischer und nicht konstitutiver Natur. Vielmehr ergibt sich die Tarifunfähigkeit für die Vergangenheit aus dem Gesetz, wenn sich die festgestellten Mängel in der Satzung einer Gewerkschaft - wie hier - auch in den Vorgängersatzungen finden.

Es ist auch grds nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die Höhe der Vergütungsdifferenz durch Schätzung ermittelt hat.

Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheids bestehen aber deshalb, weil die Antragsgegnerin es versäumt hat, zunächst den bestandskräftigen Bescheid vom 14.4.2010 gem. §§ 44 ff. SGB X aufzuheben. Da dieser Bescheid die Lohndifferenz zum üblichen Lohn im Enleiherbetrieb nicht berücksichtigt hatte, handelte es sich aus Sicht der Antragstellerin um einen begünstigenden Verwaltungsakt. Dieser kann nach § 45 Abs. 1 SGB X grds. nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und dieses Vertrauen schutzwürdig ist.

+++ Linkhinweis:
Für den auf den Webseiten der deutschen Sozialgerichtsbarkeit veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

+++ Der Hintergrund:
Ob ohne gerichtliche Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP auch für die Vergangenheit Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden dürfen, wird in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. So hat etwa das SG Hamburg am 18.11.2011 (Az.: S 51 R 1149/11 ER) entschieden, dass bei Widersprüchen gegen Beitragsbescheide wegen nachzuzahlender Sozialversicherungsbeiträge die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist, solange nicht rechtskräftig feststeht, dass die mit der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge auch in der Vergangenheit unwirksam waren.

Eine Analyse der Entscheidung des SG Hamburg lesen Sie in Heft 2 des Arbeits-Rechts-Beraters (ArbRB). In der Datenbank der Zeitschrift ArbRB online finden Sie zudem weitere Entscheidungsanalysen und Aufsätze zur Tarifunfähigkeit der CGZP. Für ein kostenloses Probe-Abonnement der Zeitschrift nebst Zugriff auf ArbRB online klicken Sie bitte hier.

SG Dortmund PM vom 30.1.2012
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