13.12.2018

Zur Dauer des Mindestjahresurlaubs und zur Höhe des Arbeitsentgelts während Kurzarbeitszeiten

Während seines unionsrechtlich garantierten Mindestjahresurlaubs hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf sein normales Arbeitsentgelt, und zwar ungeachtet früherer Kurzarbeitszeiten. Die Dauer dieses Mindestjahresurlaubs hängt allerdings von der tatsächlichen Arbeitsleistung ab, die im Referenzzeitraum erbracht wurde, so dass Kurzarbeitszeiten dazu führen können, dass der Mindesturlaub weniger als vier Wochen beträgt.

EuGH v. 13.12.2018 - C-385/17
Der Sachverhalt:

Der Kläger ist beim beklagten deutschen Unternehmen Holzkamm als Betonbauer beschäftigt. Im Jahr 2015 befand er sich 26 Wochen, also die Hälfte des Jahres, in Kurzarbeit und erbrachte in dieser Zeit keine tatsächliche Arbeitsleistung. In solchen Kurzarbeitszeiten besteht das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer fort, aber der Arbeitnehmer erbringt keine tatsächliche Arbeitsleistung für die Belange seines Arbeitgebers.

Nach dem BRTV-Bau haben die Arbeitnehmer jedoch unabhängig von Kurzarbeitszeiten, in denen sie keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht haben, Anspruch auf einen jährlichen Erholungsurlaub von 30 Tagen. Dementsprechend nahm der Kläger im Laufe der Jahre 2015 und 2016 die 30 Urlaubstage, auf die er im Jahr 2015 Anspruch erworben hatte.

Allerdings werden die Kurzarbeitszeiten nach dem BRTV-Bau bei der Berechnung des für den Jahresurlaub gezahlten Entgelts, der sog. "Urlaubsvergütung", berücksichtigt. Die Beklagte berechnete daher den an den Kläger zu zahlenden Betrag auf der Grundlage eines Bruttostundenlohns, der unter dem normalen Stundenlohn lag, was zu einer deutlichen Verringerung seines Entgelts führte. Der Kläger ist der Ansicht, dass die in den Referenzzeitraum fallende Kurzarbeit nicht zu einer Kürzung der ihm zustehenden Urlaubsvergütung führen dürfe.

Das mit der Sache befasste ArbG möchte vom EuGH wissen, ob eine nationale Regelung (hier: Mindesturlaubsgesetz), nach der in Tarifverträgen bestimmt werden kann, dass etwaige Verdienstausfälle infolge von Kurzarbeit im Referenzzeitraum berücksichtigt werden können, was zu einer Kürzung der Urlaubsvergütung führt, mit dem Unionsrecht, insbesondere mit der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, im Einklang steht.

Die Gründe:

Jeder Arbeitnehmer hat nach dem Unionsrecht Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen. Dieser einheitliche Anspruch besteht aus zwei Aspekten, nämlich dem Anspruch auf Jahresurlaub und dem auf Zahlung eines Urlaubsentgelts. Die Dauer des Mindestjahresurlaubs von vier Wochen fußt auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Referenzzeitraums tatsächlich gearbeitet hat. Daher sind die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der Zeiträume der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeit zu berechnen. Der Kläger hat hier im Jahr 2015 26 Wochen lang nicht tatsächlich gearbeitet, so dass ihm nach dem Unionsrecht nur zwei Urlaubswochen zustehen dürften. Allerdings regelt das Unionsrecht nur die Dauer des Mindestjahresurlaubs. Das nationale Recht (oder ein Tarifvertrag) kann Arbeitnehmern ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von längerer Dauer gewähren; und zwar unabhängig davon, ob die Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufgrund von Kurzarbeit verkürzt war.

Im Hinblick auf das Entgelt, das dem Arbeitnehmer für die unionsrechtlich garantierte Mindesturlaubsdauer zu zahlen ist, ist festzustellen, dass er für diese Ruhezeit Anspruch auf Zahlung des gewöhnlichen Arbeitsentgelts hat. Erhielte der Arbeitnehmer nicht das gewöhnliche Arbeitsentgelt, könnte er veranlasst sein, seinen bezahlten Jahresurlaub nicht zu nehmen, zumindest nicht in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung, da dies dann zu einer Verringerung seines Entgelts führen würde. Es widerspricht dem Unionsrecht, wenn ein Arbeitnehmer, der sich in einer Situation wie der Kläger befindet, für seine unionsrechtlich garantierten Jahresurlaubstage ein Entgelt erhält, das nicht dem gewöhnlichen Entgelt entspricht, das er in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung erhält. Das Unionsrecht verlangt allerdings nicht, dass das gewöhnliche Arbeitsentgelt für die gesamte Dauer des Jahresurlaubs gezahlt wird, die dem Arbeitnehmer nach nationalem Recht zusteht. Der Arbeitgeber muss dieses Entgelt nur für die Dauer des unionsrechtlich vorgesehenen Mindestjahresurlaubs zahlen, wobei der Arbeitnehmer den Anspruch auf diesen Urlaub nur für Zeiträume tatsächlicher Arbeitsleistung erwirbt.

Die hier gebotene unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts soll dazu führen, dass die den Arbeitnehmern für den unionsrechtlich vorgesehenen Mindesturlaub gezahlte Urlaubsvergütung nicht geringer ausfällt als der Durchschnitt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts, das die Arbeitnehmer in Zeiträumen tatsächlicher Arbeitsleistung erhalten. Hingegen verpflichtet das Unionsrecht weder dazu, die nationale Regelung dahin auszulegen, dass sie einen Anspruch auf eine tarifvertragliche Zusatzleistung begründet, die zu diesem Durchschnitt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts hinzukommt, noch dazu, dass die Überstundenvergütung berücksichtigt wird, es sei denn, der Arbeitnehmer ist arbeitsvertraglich verpflichtet, Überstunden zu leisten, die weitgehend vorhersehbar und gewöhnlich sind und deren Vergütung einen wesentlichen Teil seines gesamten Arbeitsentgelts ausmacht.

Die nationalen Gerichte können und müssen die unionsrechtlichen Vorschriften über den Jahresurlaub, so wie sie im vorliegenden Urteil ausgelegt werden, auch auf Rechtsverhältnisse, die vor dem heutigen Tag entstanden sind, anwenden, wenn die Voraussetzungen für ihre Anrufung in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen. Die Wirkungen des heutigen Urteils sind nicht zeitlich zu beschränken sind, da die Voraussetzung der schwerwiegenden wirtschaftlichen Auswirkungen nicht erfüllt ist. Im Übrigen hindert das Unionsrecht die nationalen Gerichte daran, auf der Grundlage des nationalen Rechts das berechtigte Vertrauen der Arbeitgeber auf den Fortbestand der nationalen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu schützen, die die Rechtmäßigkeit der Regelungen des BRTV-Bau über den bezahlten Urlaub bestätigt hat.

Linkhinweis:

EuGH PM Nr. 201 vom 13.12.2018
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