11.12.2025

Zur Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO

Wird in einem Berufungsurteil die Berufung einer Partei als unzulässig verworfen und über die Berufung der Gegenpartei in der Sache entschieden, gilt im Hinblick auf die Sachentscheidung für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde die Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

BGH v. 20.11.2025 - V ZR 4/25
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Im Jahr 1991 errichteten die damaligen Eigentümer an der gemeinsamen Grundstücksgrenze einen Maschendrahtzaun. Im Frühsommer 2020 montierten die Beklagten den Maschendrahtzaun ab und errichteten auf Teilabschnitten eine Betonmauer. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von den Beklagten die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes.

Das AG gab der Klage im Hinblick auf einen näher bezeichneten Teilbereich des Zaunes statt und wies sie im Übrigen ab. Gegen dieses Urteil legten beide Parteien Berufung ein. Die Berufung der Beklagten hatte vor dem LG keinen Erfolg. Auf die Berufung der Klägerin verurteilte das LG die Beklagten zur Wiederherstellung der gesamten Grenzanlage. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Soweit das LG die Berufung der Beklagten verworfen hat, ist die Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 544 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unabhängig von ihrem Wert statthaft und auch im Übrigen zulässig. Hingegen ist die Beschwerde unzulässig, soweit die Beklagten mit ihr die Zulassung der Revision bzgl. ihrer weiteren Verurteilung aufgrund der Berufung der Klägerin erreichen wollen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn die Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO überschritten ist. Wird in einem Berufungsurteil die Berufung einer Partei als unzulässig verworfen und über die Berufung der Gegenpartei in der Sache entschieden, gilt im Hinblick auf die Sachentscheidung für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde die Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Nach § 544 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist die Nichtzulassungsbeschwerde - wertunabhängig - zulässig, wenn das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat. Dies gilt hingegen nicht, wenn über die Berufung - wie hier im Hinblick auf die Berufung der Klägerin - eine Sachentscheidung getroffen worden ist. Eine auf die Sachentscheidung bezogene wertunabhängige Zulässigkeit lässt sich auch nicht damit begründen, dass die Berufungen der Parteien denselben Streitstoff beträfen und bei einer teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils die Gefahr widersprechender Entscheidungen bestände.

Die wertunabhängige Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil, mit dem das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat (§ 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO a.F., nunmehr § 544 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), wurde eingeführt, um die Rechtsmittel gegen verwerfende Entscheidungen des Berufungsgerichts zu vereinheitlichen. Denn nach Inkrafttreten der Reform der ZPO zum 1.1.2002 war ein wertunabhängiges Rechtsmittel zunächst nur bei einer Verwerfung durch Beschluss vorgesehen (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), während die Nichtzulassungsbeschwerde gegen Urteile ausnahmslos an die Wertgrenze gebunden war (§ 26 Nr. 8 EGZPO in der bis zum 31.8.2004 geltenden Fassung). Das sollte geändert werden, um eine einheitliche Anfechtbarkeit von Verwerfungsentscheidungen des Berufungsgerichts unabhängig von der Entscheidungsform zu gewährleisten. Darüber hinausgehende Rechtsschutzmöglichkeiten sollten jedoch nicht geschaffen werden. 

Erfolgt bei einer beidseitigen Berufung die Verwerfung einer Berufung durch Beschluss, die Sachentscheidung über die Berufung der Gegenpartei hingegen durch Urteil, ist nach § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO eine (wertunabhängige) Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfungsentscheidung eröffnet, jedoch unzweifelhaft keine von der Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unabhängige Nichtzulassungsbeschwerde gegen die in der Sache entschiedene Berufung; eine Addition der Werte der Beschwer aus den verfahrensrechtlich getrennten Rechtsmittelverfahren hat in diesem Fall nicht zu erfolgen. Bei einer - wie hier - einheitlichen Entscheidung durch Urteil kann die Rechtslage nicht anders sein. Richtig ist allerdings, dass dadurch die von der Nichtzulassungsbeschwerde befürchtete Gefahr widersprechender Entscheidungen entsteht. Dies ist jedoch die von dem Gesetzgeber hingenommene Folge davon, dass Rechtsmittel an bestimmte Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft sind. Ein sachlicher Grund, insoweit den Rechtsschutz bei einer insgesamt durch Urteil gefällten Entscheidung zu erweitern, besteht nicht. Es muss dem Gesetzgeber überlassen bleiben, ob und in welcher Weise er den Zugang zu der dritten Instanz schaffen will.

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Kommentierung | ZPO
§ 544 Nichtzulassungsbeschwerde
Feskorn in Zöller, Zivilprozessordnung, 36. Aufl. 2026
10/2025 | Rz. 1 - 34

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