Änderung von Namen und Angaben zum Geschlecht bei Transsexualität
EuGH, C-43/24: Schlussanträge des Generalanwalts vom 4.9.2025
Der Sachverhalt:
Eine Person bulgarischer Staatsangehörigkeit wurde bei ihrer Geburt mit männlichem Geschlecht, einem Namen (bestehend aus einem Vor-, Vater- und Familiennamen), einer persönlichen Identifikationsnummer und diesem Geschlecht entsprechenden Identitätsdokumenten erfasst. Diese Person lebt nach Durchführung einer Hormonbehandlung heute als Frau. Die Diskrepanz zwischen ihrem Erscheinungsbild als Frau und ihren amtlichen Identitätsdokumenten einer männlichen Person ist für sie im Alltag, insbesondere bei der Arbeitssuche, mit Schwierigkeiten verbunden.
Sie erhob vor den bulgarischen Gerichten Klage auf Anerkennung ihres weiblichen Geschlechts und auf Änderung ihrer Personenstandsdaten in ihrer Geburtsurkunde. Ihr Antrag wurde abgelehnt. In ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte (der Begriff "Geschlecht" könne nur im biologischen Sinn verstanden werden; das öffentliche Interesse überwiege gegenüber dem Interesse transsexueller Personen) sieht die bulgarische Regelung nämlich keine Möglichkeit vor, in einer solchen Situation das Geschlecht, den Namen und die persönliche Identifikationsnummer in Personenstandsurkunden derart zu ändern.
Das mit dem Rechtsstreit befasste bulgarische Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Unionsrecht und wendet sich mit entsprechenden Vorabfragen an den EuGH.
Die Gründe:
Das Unionsrecht steht einer nationalen Regelung entgegen, die es nicht zulässt, die Änderung des Geschlechts, auch ohne dass ein chirurgischer Eingriff zur Geschlechtsumwandlung durchgeführt wird, rechtlich anzuerkennen, und die die Änderung des Namens und der persönlichen Identifikationsnummer nicht zulässt. Es läuft dem Unionsrecht außerdem zuwider, wenn diese Änderungen nicht in die Geburtsurkunde der betreffenden Personen eingetragen werden dürfen, sofern diese Eintragung Voraussetzung für die Änderung der Angaben in ihren Identitätsdokumenten ist.
Beruht die Angabe des Geschlechts in einem Identitätsdokument allein auf der vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten Geburtsurkunde, so ist der Staat in Anbetracht des Zwecks dieses Dokuments verpflichtet, die gelebte Geschlechtsidentität rechtlich anzuerkennen und in diese Urkunde aufzunehmen. Denn der betreffende Zweck besteht darin, die Feststellung der Identität seines Inhabers zu ermöglichen, ohne dass die Echtheit der von ihm vorgelegten Dokumente oder der Wahrheitsgehalt der darin enthaltenen Angaben in Frage gestellt werden können.
Eine nationale Regelung, die mangels Anerkennung der Geschlechtsidentität einer transsexuellen Person diese Person an der Ausübung eines durch das Unionsrecht garantierten Rechts hindert - wie etwa der Ausstellung eines Identitätsdokuments, das es ihr ermöglicht, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten - stellt demnach eine Beschränkung dieses Rechts dar. Eine solche Beschränkung kann nur durch objektive Erwägungen gerechtfertigt werden, die in einem angemessenen Verhältnis zu einem legitimen Ziel stehen: Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Der EuGH sollte daher entscheiden, dass es grundsätzlich Sache des vorlegenden Gerichts ist, die in Rede stehende nationale Regelung im Licht des Unionsrechts auszulegen, ohne abzuwarten, bis die Änderung der in Rede stehenden nationalen Regelung auf gesetzgeberischem Wege oder durch ein anderes verfassungsrechtliches Verfahren geändert wird. Diese Auslegung muss insbesondere mit den Vorschriften über die Freizügigkeit und den Aufenthalt, die Achtung des Privatlebens und die Ausstellung von Identitätsdokumenten im Einklang stehen; erforderlichenfalls muss die betreffende Regelung unangewendet bleiben. Im Übrigen darf die Ausübung des Rechts einer transsexuellen Person, ihre Transidentität im Personenstandsregister eintragen zu lassen, um einen ihrer Geschlechtsidentität entsprechenden Personalausweis oder Reisepass zu erhalten, nicht von der Vorlage von Nachweisen über einen chirurgischen Eingriff zur Geschlechtsumwandlung abhängig gemacht werden. Ein solches Erfordernis würde insbesondere einen Eingriff in das Recht auf Unversehrtheit der Person und das Recht auf Achtung des Privatlebens darstellen.
Mehr zum Thema:
Aufsatz
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Familienrecht seit 2022
Robert Uerpmann-Wittzack, FamRZ 2025, 825
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EuGH PM Nr. 111 vom 4.9.2025
Eine Person bulgarischer Staatsangehörigkeit wurde bei ihrer Geburt mit männlichem Geschlecht, einem Namen (bestehend aus einem Vor-, Vater- und Familiennamen), einer persönlichen Identifikationsnummer und diesem Geschlecht entsprechenden Identitätsdokumenten erfasst. Diese Person lebt nach Durchführung einer Hormonbehandlung heute als Frau. Die Diskrepanz zwischen ihrem Erscheinungsbild als Frau und ihren amtlichen Identitätsdokumenten einer männlichen Person ist für sie im Alltag, insbesondere bei der Arbeitssuche, mit Schwierigkeiten verbunden.
Sie erhob vor den bulgarischen Gerichten Klage auf Anerkennung ihres weiblichen Geschlechts und auf Änderung ihrer Personenstandsdaten in ihrer Geburtsurkunde. Ihr Antrag wurde abgelehnt. In ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte (der Begriff "Geschlecht" könne nur im biologischen Sinn verstanden werden; das öffentliche Interesse überwiege gegenüber dem Interesse transsexueller Personen) sieht die bulgarische Regelung nämlich keine Möglichkeit vor, in einer solchen Situation das Geschlecht, den Namen und die persönliche Identifikationsnummer in Personenstandsurkunden derart zu ändern.
Das mit dem Rechtsstreit befasste bulgarische Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Unionsrecht und wendet sich mit entsprechenden Vorabfragen an den EuGH.
Die Gründe:
Das Unionsrecht steht einer nationalen Regelung entgegen, die es nicht zulässt, die Änderung des Geschlechts, auch ohne dass ein chirurgischer Eingriff zur Geschlechtsumwandlung durchgeführt wird, rechtlich anzuerkennen, und die die Änderung des Namens und der persönlichen Identifikationsnummer nicht zulässt. Es läuft dem Unionsrecht außerdem zuwider, wenn diese Änderungen nicht in die Geburtsurkunde der betreffenden Personen eingetragen werden dürfen, sofern diese Eintragung Voraussetzung für die Änderung der Angaben in ihren Identitätsdokumenten ist.
Beruht die Angabe des Geschlechts in einem Identitätsdokument allein auf der vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten Geburtsurkunde, so ist der Staat in Anbetracht des Zwecks dieses Dokuments verpflichtet, die gelebte Geschlechtsidentität rechtlich anzuerkennen und in diese Urkunde aufzunehmen. Denn der betreffende Zweck besteht darin, die Feststellung der Identität seines Inhabers zu ermöglichen, ohne dass die Echtheit der von ihm vorgelegten Dokumente oder der Wahrheitsgehalt der darin enthaltenen Angaben in Frage gestellt werden können.
Eine nationale Regelung, die mangels Anerkennung der Geschlechtsidentität einer transsexuellen Person diese Person an der Ausübung eines durch das Unionsrecht garantierten Rechts hindert - wie etwa der Ausstellung eines Identitätsdokuments, das es ihr ermöglicht, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten - stellt demnach eine Beschränkung dieses Rechts dar. Eine solche Beschränkung kann nur durch objektive Erwägungen gerechtfertigt werden, die in einem angemessenen Verhältnis zu einem legitimen Ziel stehen: Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Der EuGH sollte daher entscheiden, dass es grundsätzlich Sache des vorlegenden Gerichts ist, die in Rede stehende nationale Regelung im Licht des Unionsrechts auszulegen, ohne abzuwarten, bis die Änderung der in Rede stehenden nationalen Regelung auf gesetzgeberischem Wege oder durch ein anderes verfassungsrechtliches Verfahren geändert wird. Diese Auslegung muss insbesondere mit den Vorschriften über die Freizügigkeit und den Aufenthalt, die Achtung des Privatlebens und die Ausstellung von Identitätsdokumenten im Einklang stehen; erforderlichenfalls muss die betreffende Regelung unangewendet bleiben. Im Übrigen darf die Ausübung des Rechts einer transsexuellen Person, ihre Transidentität im Personenstandsregister eintragen zu lassen, um einen ihrer Geschlechtsidentität entsprechenden Personalausweis oder Reisepass zu erhalten, nicht von der Vorlage von Nachweisen über einen chirurgischen Eingriff zur Geschlechtsumwandlung abhängig gemacht werden. Ein solches Erfordernis würde insbesondere einen Eingriff in das Recht auf Unversehrtheit der Person und das Recht auf Achtung des Privatlebens darstellen.
Aufsatz
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Familienrecht seit 2022
Robert Uerpmann-Wittzack, FamRZ 2025, 825
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