20.07.2016

Altersvorsorgeaufwendungen nicht als vorweggenommene Werbungskosten anerkannt

Die gesetzgeberische Qualifizierung von Altersvorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben und die vorgesehene höhenmäßige Beschränkung des Sonderausgabenabzugs sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Frage des Verstoßes gegen das Verbot der Doppelbesteuerung kann erst in den Veranlagungszeiträumen der Rentenbesteuerung zum Gegenstand der verfassungsrechtlichen Beurteilung gemacht werden.

BVerfG 14.6.2016, 2 BvR 290/10 u.a.
Der Sachverhalt:
Die im Jahr 1977 geborene Beschwerdeführerin im Verfahren 2 BvR 290/10 war im Streitjahr 2005 als Angestellte nichtselbständig tätig. Sie hatte in ihrer Einkommensteuererklärung erfolglos den Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung als vorweggenommene Werbungskosten steuermindernd geltend gemacht. Auch Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Der im Jahr 1959 geborene Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 323/10 ist als Steuerberater und vereidigter Buchprüfer nichtselbständig tätig. Er hatte im Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren beim zuständigen Finanzamt erfolglos beantragt, die von ihm zu leistenden Beiträge an das Wirtschaftsprüfer-Versorgungswerk als vorweggenommene Werbungskosten auf der Lohnsteuerkarte einzutragen. Auch hier blieben Einspruch und Klage ohne Erfolg.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügten die Beschwerdeführer im Wesentlichen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG. Das BVerfG nahm beide Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an.

Die Gründe:
Die angegriffenen Entscheidungen und die diesen zugrundeliegenden Regelungen des EStG verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Der Gesetzgeber hat Altersvorsorgeaufwendungen gem. § 10 Abs. 1 Nr. 2a EStG einfachrechtlich als Sonderausgaben qualifiziert, woran er von Verfassungs wegen nicht gehindert ist. Die vom BFH vorgenommene Einordnung der Vorschrift als lex specialis gegenüber § 10 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 S. 1 EStG ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Gericht weist zu Recht darauf hin, dass die an die gesetzliche Rentenversicherung und berufsständische Versorgungseinrichtungen zu leistenden Beiträge ihrer materiellen Rechtsnatur nach nicht in vollem Umfang Werbungskosten des Beitragszahlers darstellen. Denn Altersvorsorgeaufwendungen in Form von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung und berufsständischen Versorgungseinrichtungen weisen neben ihrer Bestimmung zur Erzielung zukünftiger Einkünfte anders als üblicherweise vorweggenommene Werbungskosten zugleich vermögensbildende oder versicherungsspezifische Komponenten auf.

Soweit sich der Gesetzgeber mit der Umstellung auf die nachgelagerte Besteuerung der Alterseinkünfte von dem Prinzip der Ertragsanteilsbesteuerung gelöst hat, mag es auf der Ebene des einfachen Steuerrechts systematisch vorzugswürdig erscheinen, die Aufwendungen nunmehr der Sphäre der Einkünfte und den Werbungskosten zuzuordnen. Dem Gesetzgeber steht jedoch ein weiter Spielraum zu, der mit der einheitlichen Zuweisung von Altersvorsorgeaufwendungen zu den Sonderausgaben nicht überschritten ist. Das Verbot doppelter Besteuerung kann sowohl durch entsprechende Regelungen in der Aufbau- als auch in der Versorgungsphase gewahrt werden. Aus dem Verbot doppelter Besteuerung lässt sich jedoch kein Anspruch auf eine bestimmte Abzugsfähigkeit der Beiträge in der Aufbauphase ableiten.

Auch die vorgesehene höhenmäßige Beschränkung des Sonderausgabenabzugs für Altersvorsorgeaufwendungen auf jährlich bis zu 20.000 € bzw. 40.000 € gem. § 10 Abs. 3 S. 1 u. 2 EStG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber hat sich bei der Einführung der höhenmäßigen Abzugsbeschränkung auf das Ziel der Missbrauchsvermeidung gestützt. Dabei handelt es sich um einen sachgerechten Grund für die Beschränkung der Altersvorsorgeaufwendungen und die damit verbundene Ausnahme von der gesetzgeberischen Entscheidung für eine grundsätzlich nachgelagerte Besteuerung der Alterseinkünfte. Das Ziel der Missbrauchsvermeidung liegt innerhalb des weiten gesetzgeberischen Entscheidungsspielraums.

Letztlich steht auch die Übergangsregelung des § 10 Abs. 3 S. 4 bis 6 EStG mit verfassungsrechtlichen Anforderungen in Einklang. Sie sieht - beginnend ab dem Jahr 2005 - eine begrenzte und in den Folgejahren allmählich steigende prozentuale Berücksichtigung von Altersvorsorgeaufwendungen bis zu deren vollen Abzugsfähigkeit ab dem Jahr 2025 vor. Das führt dazu, dass ein Arbeitnehmer vor dem Jahr 2025 nur einen Teil seiner Altersvorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben steuermindernd geltend machen kann, auch wenn seine Rentenbezüge voraussichtlich zu 100 % der Besteuerung unterliegen, weil er erst nach dem Jahr 2025 das derzeit geltende Renteneintrittsalter erreicht. Ungleichbehandlungen, die damit einhergehen, sind jedoch für die Übergangszeit - bis zur Grenze einer verbotenen Doppelbesteuerung - verfassungsrechtlich hinnehmbar.

Zwar ist es gerade für die Arbeitnehmerjahrgänge, die in den Jahren 2039 bis 2043 in die Rentenbezugsphase eintreten, nicht ausgeschlossen, dass es zu einer Doppelbesteuerung kommt, weil ihre Aufwendungen in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes nur in verhältnismäßig geringem Umfang steuerlich entlastet wurden. Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbesteuerung kann jedoch erst in den Veranlagungszeiträumen der Rentenbesteuerung zum Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung gemacht werden. Die Überprüfung des Verbots der Doppelbesteuerung schon in der Aufbauphase wäre mit erheblichen Unsicherheiten behaftet.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
  • Um direkt zu dem Volltext von 2 BvR 290/10 zu kommen, klicken Sie bitte hier.
  • Um direkt zu dem Volltext von 2 BvR 323/10 zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BVerfG PM Nr. 45 vom 20.7.2016
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