10.07.2025

Anspruch auf Informationszugang in die der Richtsatzsammlung zugrunde liegenden Unterlagen

1. Bei § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 des Finanzverwaltungsgesetzes handelt es sich um eine spezialgesetzliche Regelung, die nach ihrem Wortlaut eine Vertraulichkeitspflicht anordnet und insbesondere einen Anspruch auf Einsicht in die Dokumente nach den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder ausschließt.
2. Daher wird ein Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern hinsichtlich der Unterlagen für die amtliche Richtsatzsammlung ausgeschlossen.

Kurzbesprechung
BFH v. 9.5.2025 ‑ IX R 1/24

FVG § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5
IFG MV § 1 Abs. 3
AO § 32e
GG Art. 108 Abs. 4 Satz 1


Der Rechtsstreit ging um einen Auskunftsanspruch des Steuerpflichtigen auf der Grundlage des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Informationsfreiheitsgesetz MV -IFG MV ‑‑ vom 10.07.2006, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Mecklenburg-Vorpommern 2006, 556). Der Steuerpflichtige beantragte beim Finanzministerium des betreffenden Bundeslandes als oberste Behörde bei den Landesfinanzbehörden die Beantwortung von Fragen hinsichtlich der Erstellung der steuerlichen Richtsatzsammlung.

Während das FA die erbetene Auskunft verweigerte, gab das FG der eigelegten Klage statt. Der BFH hob jedoch im Revisionsverfahren die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Klage ab. Er entschied, dass § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG einem Auskunftsanspruch des Steuerpflichtigen nach § 32e AO i.V.m. dem Informationsfreiheitsgesetz MV entgegensteht.

Denn der Bundesgesetzgeber ist dazu ermächtigt, mittels der Regelung in § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG Auskunftsansprüche nicht nur nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, sondern auch nach den Informationsfreiheitsgesetzen der Bundesländer auszuschließen.

Verfassungsrechtliche Grundlage für § 21a FVG ist die Regelung des Art. 108 Abs. 4 Satz 1 Alternative 1 GG. Danach kann durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bei der Verwaltung von Steuern unter anderem ein Zusammenwirken von Bundes- und Landesfinanzbehörden vorgesehen werden, wenn und soweit dadurch der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird.

Die Ermächtigung, zur erheblichen Verbesserung oder Erleichterung des Vollzugs der Steuergesetze Informationsansprüche nach den Informationsfreiheitsgesetzen der Bundesländer auszuschließen, ist als Annexkompetenz in Art. 108 Abs. 4 Satz 1 Alternative 1 GG enthalten. Eine Annexkompetenz liegt vor, wenn eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie die Inanspruchnahme vorbereitender, unterstützender oder flankierender Aufgaben und Befugnisse erfordert und beide Sachgebiete damit nicht anders als im Zu­sammenhang geregelt werden können.

Die Annexkompetenz zeichnet sich durch einen dienenden Charakter aus. Voraussetzung für ihre Inanspruchnahme ist, dass der Bund von einer ihm ausdrücklich zugewiesenen Gesetzge­bungszuständigkeit Gebrauch macht, dass der Regelungsschwerpunkt des betreffenden Bundesgesetzes auf dem Gebiet eines ausdrücklich dem Bund unterstellten Kompetenzgegenstandes liegt und dass die kraft Annexes dem ausdrücklich normierten Kompetenztitel zugeschlagene Materie nicht den Hauptregelungsgegenstand darstellt. Notwendig ist ferner, dass die Annexmaterie in einem funktionalen Zusammenhang zur Inanspruchnahme der ausdrücklich normierten Bundeskompetenz steht. Die Annexkompetenz ermächtigt daher insbesondere zum Erlass von ergänzenden verfahrensrechtlichen Regelungen.

Die Vertraulichkeitsregelung im § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG kann als den Steuervollzug punktuell unterstützende und flankierende Regelung auf Art. 108 Abs. 4 Satz 1 Alternative 1 GG gestützt werden.

Der BFH konnte offen lassen, ob es sich bei der Bezugnahme in § 32e AO auf die Art. 12 bis 15 DSGVO um eine Rechtsgrund- oder eine Rechtsfolgenverweisung handelt. Denn einem Auskunftsanspruch stehen insoweit die Regelung in § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG als spezielle Vertraulichkeitsvorschrift des Bundesrechts entgegen.
Verlag Dr. Otto Schmidt