10.04.2025

Anwendung geschlechterdifferenzierender Sterbetafeln im Rahmen der Bewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer

Die Anwendung geschlechterdifferenzierender Sterbetafeln bei der Bewertung lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer im Rahmen von § 14 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes.

Kurzbesprechung
BFH v. 20.11.2024 - II R 38/22
BFH v. 20.11.2024 - II R 41/22 nv
BFH v. 20.11.2024 - II R 42/22 nv

BewG § 14 Abs 1, BewG § 14 Abs 2
GG Art 3 Abs 3 S 1, GG Art 3 Abs 1
AEUV Art 157
ErbStG § 12 Abs 1


In den Streitfällen schlossen die Steuerpflichtigen mit ihrem Vater im Jahr 2014 notariell beurkundete Verträge zur vorweggenommenen Erbfolge, mit denen der Vater ihnen Anteile an einer GmbH unentgeltlich übertrug. Der Vater behielt sich den lebenslangen unentgeltlichen Nießbrauch an den übertragenen Anteilen vor und verpflichtete sich, während der Dauer des Nießbrauchs sämtliche mit den Anteilen verbundenen Lasten zu tragen.

Bei der Festsetzung der Schenkungsteuer zog das FA von dem Wert der Anteile den Kapitalwert des Nießbrauchsrechts des Vaters ab, da der Nießbrauch die Bereicherung der Steuerpflichtigen und die Bemessungsgrundlage für die Schenkungsteuer minderte. Den Kapitalwert ermittelte es durch Multiplikation des Jahreswerts des Nießbrauchs mit dem sich aufgrund der voraussichtlichen Lebenserwartung des Vaters ergebenden Vervielfältiger.

Die Vervielfältiger sind nach der gesetzlichen Regelung in § 14 BewG anhand der aktuellen Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes zu ermitteln und werden vom Bundesministerium der Finanzen - getrennt nach Geschlecht für Männer und Frauen sowie nach vollendetem Lebensalter des Berechtigten - regelmäßig veröffentlicht.

Im Klage und Revisionsverfahren machten die Steuerpflichtigen geltend, die Ermittlung des Kapitalwerts lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen anhand unterschiedlicher Vervielfältiger für Männer und Frauen verstoße gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 GG.

Nach erfolglosen Klageverfahren wies auch der BFH die eingelegten als unbegründet zurück. Er entschied, dass die Heranziehung geschlechterdifferenzierender Sterbetafeln im Rahmen der Bewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Denn sie dient dem legitimen Ziel, die Kapitalwerte lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen mit zutreffenden Werten zu erfassen und eine Besteuerung nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Da die statistische Lebenserwartung von Männern und Frauen ausweislich der amtlichen Sterbetafeln unterschiedlich hoch ist, ermöglicht die Verwendung der geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Vervielfältiger genauere und realitätsgerechtere Bewertungsergebnisse als die Verwendung geschlechtsneutraler Vervielfältiger.

Die Anwendung der geschlechtsspezifischen Sterbetafeln kann sich für den Steuerpflichtigen je nach Fallkonstellation günstiger oder ungünstiger auswirken und führt nicht in jedem Falle zu einer Benachteiligung aufgrund des eigenen Geschlechts. Auch im Streitfall waren die Kapitalwerte des Nießbrauchs nicht in Abhängigkeit von dem Geschlecht der Steuerpflichtigen, sondern dem Geschlecht und Lebensalter ihres Vaters als Nießbrauchsberechtigtem ermittelt worden.

Beraterhinweis: Die Entscheidungen des BFH sind zur Rechtslage im Jahr 2014 ergangen. Offen bleibt daher, welche Auswirkungen sich aus dem am 01.11.2024 in Kraft getretenen Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag für die Bewertung lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen ergeben.
Verlag Dr. Otto Schmidt