03.11.2022

Aufrechnung im Insolvenzverfahren; Berücksichtigung eines Berichtigungsbetrags in einem falschen Besteuerungszeitraum

Besteht für einen Vergütungsanspruch, den das FA für einen Besteuerungszeitraum nach Insolvenzeröffnung erstmals festsetzt, aufgrund der Rechtswidrigkeit dieser Steuerfestsetzung kein materieller Rechtsgrund, wird das FA diesen Vergütungsanspruch i.S. von § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO erst mit der Festsetzung und damit erst nach der Insolvenzeröffnung zur Masse schuldig.

Kurzbesprechung
BFH v. 22. 6. 2022 - XI R 46/20

InsO § 96 Abs 1 Nr. 1
UStG § 17 Abs 1 S 1, § 17 Abs 2 Nr. 1 S 1
AO § 37 Abs 2, § 218, § 226


Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Ob ein Insolvenzgläubiger vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, bestimmt sich bei Erstattungs- oder Vergütungsansprüchen danach, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung dieses Anspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erfüllt waren.

Bei Steuervergütungsfestsetzungen (§ 168 Satz 2 AO), die auf einem Steuerberichtigungsanspruch nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 1 Satz 1 UStG beruhen, ist entscheidend, "wann der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand" verwirklicht wird. Bei einem derartigen Vergütungsanspruch aufgrund von Uneinbringlichkeit kommt es daher darauf an, ob die Uneinbringlichkeit vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten ist. Erst mit der Uneinbringlichkeit sind die materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines darauf beruhenden Berichtigungsanspruchs, der zu einer Steuervergütung führen kann, erfüllt. Der Zeitpunkt der Abgabe der Steueranmeldung oder des Erlasses eines Steuerbescheides, in dem der Berichtigungsfall erfasst wird, ist unerheblich.

Im Streitfall bezog sich der Berichtigungsanspruch nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 UStG auf Entgelte für steuerpflichtige Leistungen, die der Insolvenzschuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen erbracht hatte. Diese Entgelte werden bereits mit und dabei eine juristische Sekunde vor der Verfahrenseröffnung aus Rechtsgründen uneinbringlich.

Da ein derart bereits uneinbringlich gewordenes Entgelt nicht nochmals uneinbringlich werden kann, kommt es auf nach der Insolvenzeröffnung eintretende (tatsächliche) Zahlungsausfälle in Bezug auf die gegen die Leistungsempfänger des Insolvenzschuldners gerichteten Entgeltforderungen nicht an.

Besteht für einen Vergütungsanspruch, den das FA für einen Besteuerungszeitraum nach Insolvenzeröffnung erstmals festsetzt, aufgrund der Rechtswidrigkeit dieser Steuerfestsetzung kein materieller Rechtsgrund, wird das FA diesen Vergütungsanspruch erst mit der Festsetzung (und damit nach der Insolvenzeröffnung) zur Masse schuldig.

Dies unterscheidet den Streitfall von einer Erstattungsfestsetzung zugunsten des Steuerpflichtigen als Korrektur einer vorherigen rechtswidrigen (oder anderweitig überhöhten) Festsetzung, bei der dann auf den die Erstattungsforderung begründenden Sachverhalt abzustellen sein kann. Maßgeblich für diese Differenzierung ist, dass die Berichtigung nach § 17 UStG einen eigenständigen Anspruch mit jeweils eigenen materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen gewährt, an die sich besondere Rechtsfolgen knüpfen, denen keine Rückwirkung zukommt, was auf den Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO aufgrund zu hoher oder materiell-rechtlich nicht geschuldeter Vorauszahlungen nicht zutrifft. Da es sich zudem im Streitfall um eine Steuerfestsetzung für einen Besteuerungszeitraum nach Insolvenzeröffnung handelte, war nicht zu entscheiden, ob dasselbe für eine rechtswidrige Steuervergütungsfestsetzung für einen Zeitraum vor Insolvenzeröffnung gelten würde.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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