12.11.2019

Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer bei Krankenfahrten ohne fachgerechte medizinische Betreuung?

Allgemein anerkannt ist, dass Krankheit ein anomaler körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand ist, der nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf. Dieser Krankheitsbegriff gilt auch für Zwecke der Kfz-Steuer. Da die Voraussetzungen der Krankenbeförderung allerdings nicht abschließend geklärt sind, wurde die Revision zugelassen.

FG Berlin-Brandenburg 26.9.2019, 8 K 8023/18
Der Sachverhalt:
Die Klägerin führt "Kranken-, Personen- und Behindertenbeförderung" durch. Sie ist Inhaberin einer Erlaubnis nach § 49 PBefG. Seit August 2017 ist sie Halterin eines Kfz, das ausweislich der Zulassungsbescheinigung I als "So. Kfz f. Behinderte m. Rollstuhl-Hebevorr." zugelassen worden war. Das Auto ist mit einem Alusystemboden Handicare, Einzelsitzen Sicom mit Easyleg und wahlweise einem Rollstuhlplatz oder zwei Tragestühlen ausgestattet. Es ist an der Hecktür mit einem Aufkleber "Krankenfahrten" beschriftet; zudem sind mehrere Aufkleber mit einem "Rollstuhlfahrersymbol" angebracht.

Das Hauptzollamt (HZA) erließ im September 2017 einen Bescheid über Kfz-Steuer über jährlich 185 €. Die Klägerin stellte daraufhin einen Antrag auf Steuerbefreiung für das Kfz. Formularmäßig erklärte sie, dass sie schwerbehinderte und erkrankte Menschen befördere. Behinderte Menschen befördere sie zu Tagesheimen und Behindertenwerkstätten, erkrankte Menschen zu Arztpraxen, Dialyseeinrichtungen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Zudem legte sie eine Fahrtenaufstellung vor, die das bestätigte.

Das HZA lehnte den Antrag ab. Die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 KraftStG komme nicht in Betracht, da hiervon nur qualifizierte Krankentransporte erfasst seien, bei denen eine fachgerechte medizinische Betreuung der beförderten Personen gewährleistet sei. Diese Transporte dürften nach Brandenburgischem Rettungsdienstgesetz aber nur Träger des Rettungsdienstes (Landkreise und kreisfreie Gemeinden) durchführen. Die Klägerin führe hingegen nur Krankenfahrten ohne fachgerechte medizinische Betreuung durch.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Allerdings wurde zur Fortbildung des Rechts die Revision zum BFH zugelassen.

Die Gründe:
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 KraftStG.

Strittig war allein, ob eine Verwendung zur Krankenbeförderung durch die Klägerin vorliegt. Der BFH hat entschieden, dass die Krankenbeförderung bereits begrifflich voraussetzt, dass kranke Menschen befördert werden (BFH-Urt. v. 13.9.2018, Az.: III R 10/18). Der Begriff der Krankheit ist im Gesetz nicht definiert, da sein Inhalt ständigen Änderungen unterliegt und der Begriff im jeweiligen Rechtszusammenhang und individuellem Fall gebraucht wird. Allgemein anerkannt ist jedoch, dass Krankheit ein anomaler körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand ist, der nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf. Dieser Krankheitsbegriff gilt auch für Zwecke der Kfz-Steuer. Der Begriff der Behinderung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) ist nicht deckungsgleich mit dem Begriff der Krankheit.

Die Behandlungsbedürftigkeit impliziert eine gewisse Dringlichkeit der Beförderung, wie sie auch den übrigen Merkmalen des § 3 Nr. 5 Satz 1 KraftStG (Feuerwehrdienst, Katastrophenschutz, ziviler Luftschutz, Unglücksfälle, Rettungsdienst) immanent ist. Das Gesetz verlangt keinen dringenden Soforteinsatz. Vielmehr müssen die beförderten Personen behandlungsbedürftig sein und die Beförderung muss mit der Behandlung im Zusammenhang stehen. Im entschiedenen Streitfall genügte dem BFH die Feststellung des FG Münster (Urt. v. 25.1.2018, Az.: 6 K 159/17) nicht, dass das strittige Fahrzeug ausschließlich zur Beförderung von Personen verwendet worden sei, die derart gehbehindert waren, dass sie öffentliche Verkehrsmittel oder private Fahrzeuge ohne fremde Hilfe nicht benutzen konnten.

Das Gericht schließt sich diesem Normverständnis grundsätzlich an. Nicht zu folgen ist dem HZA darin, dass die Befreiung bereits deshalb nicht zu gewähren sei, weil die Klägerin im formularmäßigen Antrag erklärt habe, auch Behindertenfahrten durchzuführen. Insoweit durfte sich die Klägerin damit begnügen, dass entsprechende ärztliche Verordnungen einer Krankenbeförderung vorlagen. Insbesondere oblag es nicht der Klägerin, die Notwendigkeit einer Beförderung und deren Veranlassung durch ein Krankheitsbild zu überprüfen.

Da die Voraussetzungen der Krankenbeförderung nicht abschließend geklärt sind (Behindertenbeförderung als Krankenbeförderung, Dringlichkeit der Behandlung bzw. Notwendigkeit einer medizinischen Betreuung während der Beförderung, Mitwirkungs- und Prüfungspflichten des Beförderungsunternehmens) wurde die Revision zugelassen. Zudem hat der V. Senat des BFH zur Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG ausgeführt, dass auch der Transport von Personen, die körperlich oder geistig behindert sind und auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen sind, unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG fällt, da auch eine körperliche oder geistige Behinderung, insbesondere beispielsweise eine Querschnittslähmung, einen regelwidrigen Zustand i.S.d. Definition der Krankheit sei (BFH-Urt. v. 12.8.2004, Az.: V R 45/03.

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