07.01.2022

Besteuerung eines beim Tod des Beschwerten fälligen Vermächtnisses

1. Der Vermächtnisnehmer eines beim Tod des Beschwerten fälligen Vermächtnisses erwirbt erbschaftsteuerrechtlich vom Beschwerten.
2. Fällt der erstberufene Vermächtnisnehmer vor Fälligkeit des Vermächtnisses weg, erwirbt der zweitberufene Vermächtnisnehmer ebenfalls vom Beschwerten und nicht vom erstberufenen Vermächtnisnehmer.

Kurzbesprechung
BFH v. 31.8.2021 - II R 2/20

ErbStG § 3 Abs 1 Nr. 1 Alt 2, § 6 Abs 2 S 1, § 6 Abs 4 Alt 2, § 9 Abs 1 Nr. 1 Buchst a , § 15 Abs 1
BGB § 2100, § 2139, §§ 2147ff, BB § 2147, § 2176, § 2177, § 2191


Der 1957 verstorbene Erblasser war Eigentümer eines Hausgrundstücks. In einem notariell beurkundeten Testament hatte er seine Ehefrau zur Alleinerbin bestimmt und das Grundstück seinem Neffen vermacht. Das Vermächtnis sollte zwar mit dem Tod des Erblassers anfallen, Übergabe und Übereignung des Grundstücks konnte der Vermächtnisnehmer jedoch erst nach dem Tod der Ehefrau verlangen. Für den Fall, dass der Neffe das Vermächtnis nicht erwerben sollte, fiel es an dessen eheliche Abkömmlinge. Sollte der Neffe nach Anfall, aber vor Fälligkeit des Vermächtnisses sterben, fiel es an diese als Nachvermächtnisnehmer.

Der Neffe verstarb 2011 und wurde durch seine Kinder, den Steuerpflichtigen (Kläger) sowie dessen Bruder, beerbt. Im Jahre 2012 verstarb die Ehefrau des Erblassers. Danach wurde das Grundstück in Erfüllung der testamentarischen Verpflichtung auf den Steuerpflichtigen und dessen Bruder als Miteigentümer zu je ½ übertragen.

Das FA setzte gegenüber dem Steuerpflichtigen Erbschaftsteuer für einen vermächtnisweisen Erwerb von Todes wegen von der Ehefrau des Erblassers fest. Während der Steuerpflichtige die Anwendung der Steuerklasse I beantragt hatte, wandte das FA Steuerklasse III an. Es vertrat die Auffassung, für die Besteuerung sei das Verwandtschaftsverhältnis des Steuerpflichtigen zu der Vorerbin --der Ehefrau des Erblassers-- bzw. zum Erblasser maßgebend.

Der BFH wies die eingelegte Revision als unbegründet zurück. Das Vermächtnis stellt erbschaftsteuerrechtlich einen Erwerb von Todes wegen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 ErbStG nach der Ehefrau des Erblassers auf den Zeitpunkt seiner Fälligkeit dar, den das FA zutreffend unter Anwendung des § 15 Abs. 1 Steuerklasse III ErbStG besteuert hatte. Dies folgt allerdings nicht aus einer auf eine teleologische Reduktion gestützten Nichtanwendung des § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG, sondern aus § 6 Abs. 4 Alternative 2 ErbStG.

Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten fällig sind, werden über eine Gleichstellung mit den Nacherbschaften erbschaftsteuerrechtlich im Wesentlichen so behandelt wie Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten anfallen. Der Anfall der Nacherbschaft gilt grundsätzlich als Erwerb vom Vorerben. Während zivilrechtlich nach §§ 2100, 2139 BGB der Vorerbe und der Nacherbe zwar nacheinander, aber beide vom ursprünglichen Erblasser erben, gilt erbschaftsteuerrechtlich nach § 6 Abs. 1 ErbStG der Vorerbe als Erbe. Sein Erwerb unterliegt in vollem Umfang und ohne Berücksichtigung der Beschränkungen durch das Nacherbenrecht der Erbschaftsteuer.

Bei Eintritt der Nacherbfolge haben nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern. Die Vorschrift fingiert für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben wird. Nach Maßgabe von § 6 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 ErbStG ist auf Antrag der Versteuerung das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen. § 6 Abs. 4 ErbStG überträgt diese Systematik auf Vor- und Nachvermächtnisse sowie auf Vermächtnisse, die erst mit dem Tod des Beschwerten fällig werden.

Nach § 6 Abs. 4 Alternative 1 ErbStG stehen Nachvermächtnisse den Nacherbschaften gleich. Ebenso wie zivilrechtlich nach § 2191 BGB i.V.m. §§ 2147 ff. BGB Vor- und Nachvermächtnisnehmer entsprechend dem Vor- und Nacherben behandelt werden, fingiert diese Vorschrift für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nachvermächtnisnehmer das Vermächtnis vom Vorvermächtnisnehmer erwirbt. Sowohl bei Anfall des Vorvermächtnisses als auch bei Anfall des Nachvermächtnisses entsteht Erbschaftsteuer.

Nach § 6 Abs. 4 Alternative 2 ErbStG stehen ferner beim Tod des Beschwerten fällige Vermächtnisse (und Auflagen) den Nacherbschaften gleich. Diese Vorschrift spricht das sog. betagte Vermächtnis an, das zwar mit dem Erbfall entsteht, dessen Fälligkeit jedoch auf einen späteren Termin hinausgeschoben ist.

Der durch ein solches betagtes Vermächtnis Beschwerte gilt als Vermächtnisnehmer nach dem Erblasser. Der Vermächtnisnehmer des betagten Vermächtnisses erwirbt vom Beschwerten. Der Tod des Beschwerten ist somit für die Erbschaftsteuer des Vermächtnisnehmers keine aufschiebende Bedingung für die Entstehung der Steuer i.S. von § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG, sondern begründet erst den steuerbaren Tatbestand.

§ 6 Abs. 4 Alternative 2 ErbStG gilt mangels anderweitiger Anordnung auch dann, wenn das Vermächtnis nicht nur betagt, sondern zivilrechtlich zudem ein Nachvermächtnis ist. Über § 6 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 ErbStG ist wiederum auf Antrag der Besteuerung das Verhältnis zum Erblasser zugrunde zu legen.

Ist ein Vermächtnis erst mit dem Tod des beschwerten Erben fällig und ein zweiter Vermächtnisnehmer für den Fall bestimmt, dass der erste Vermächtnisnehmer vor Fälligkeit des Vermächtnisses verstirbt, erwirbt --sollte sich dies realisieren-- der zweitberufene Vermächtnisnehmer von dem beschwerten Erben, nicht aber vom erstberufenen Vermächtnisnehmer. Zeitpunkt des Erwerbs ist der Tod des Erben. Ob zivilrechtlich die beiden Vermächtnisse als Vor- und Nachvermächtnis zu qualifizieren sind, ist für Zwecke der Erbschaftsteuer nicht erheblich.

Im Streitfall hatte mit dem Tod des Erblassers dessen Neffe --der Vater des Steuerpflichtigen-- nach § 6 Abs. 4 Alternative 2 ErbStG noch keinen Vermächtniserwerb zu versteuern. Das Vermächtnis war noch nicht fällig, weil die Ehefrau des Erblassers noch nicht verstorben war. Dasselbe galt für den Steuerpflichtigen und seinen Bruder beim Tod ihres Vaters. Die Fälligkeit des Vermächtnisses trat erst mit dem Tod der Ehefrau des Erblassers ein. Auf diesen Zeitpunkt hat der Steuerpflichtige es als von ihr stammend zu versteuern. In diesem Verhältnis ist die Steuerklasse III anzuwenden.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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