07.10.2021

Drittwirkung der Steuerfestsetzung bei Organschaft

Ist für eine Organgesellschaft entgegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine Steuerfestsetzung ergangen, ergibt sich hieraus eine Drittwirkung i.S. von § 166 AO. Der Organträger kann dann keinen Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen geltend machen, die von Dritten über die Organgesellschaft bezogen wurden. Das Recht des Organträgers, die Nichtbesteuerung von Innenleistungen geltend zu machen, die er an die Organgesellschaft erbracht hat, bleibt unberührt. Bei einer Rechtsprechungsänderung können Organträger und Organgesellschaften nicht beanspruchen, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (hier: Organgesellschaft) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (hier: Organträger) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden.

Kurzbesprechung
BFH v. 26.8.2021 - V R 13/20

AO § 33, § 43, § 166, § 176 Abs 1 S 1 Nr. 3
UStG § 2 Abs 2 Nr. 2
EGRL 112/2006 Art 11


Der Steuerpflichtige Einzelunternehmer und ging davon aus, dass er gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG Organträger der PL-GmbH und der PR-GmbH war. Beide GmbHs erbrachten steuerbare Leistungen gegen Entgelt an drei KGs (C-KG, P-KG und R-KG), bei denen der Steuerpflichtige jeweils einziger Kommanditist sowie Alleingesellschafter und einziger Geschäftsführer der jeweiligen Komplementär-GmbH war. Dabei handelte es sich in Bezug auf die C-KG um die C-GmbH und in Bezug auf die beiden anderen KGs um die F-GmbH.
Der Steuerpflichtige die Änderung seiner Umsatzsteuerfestsetzungen 2008 und 2009, da er gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auch Organträger der drei KGs gewesen sei.

Ist die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbar festgesetzt, hat dies auch gegen sich gelten zu lassen, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter anzufechten. Im Streitfall begründen die für die KGs unanfechtbar ergangenen Steuerfestsetzungen eine Drittwirkung i.S. von § 166 AO bei der Besteuerung des Steuerpflichtigen mit der Folge, dass er diese Drittwirkung gegen sich gelten lassen muss, da er vertretungsberechtigter Geschäftsführer der beiden Komplementär-GmbHs war.

Die aus § 166 AO folgende Drittwirkung betrifft zwar insbesondere Haftungsbescheide nach § 191 AO, ist aber nicht auf diese beschränkt. Dies ergibt sich bereits aus der systematischen Stellung dieser Vorschrift als Teil der allgemeinen Vorschriften zur Steuerfestsetzung gemäß §§ 154 ff. AO. Sie ist daher auch im hier vorliegenden Verfahren der vom Steuerpflichtigen begehrten Änderung seiner Umsatzsteuerfestsetzungen zu berücksichtigen. Die KGs sind als Steuerpflichtige i.S. von § 166 AO zu behandeln.

Die Person des Steuerpflichtigen bestimmt sich nach der allgemeinen Definition in § 33 Abs. 1 AO. Für die steuerbaren Umsätze des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist daher (vorbehaltlich des § 13b UStG) gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG der Unternehmer der Steuerschuldner (oder der Vergütungsberechtigte). Im Fall einer Organschaft ist dies gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG der Organträger, nicht aber die eingegliederte juristische Person, die ihre Tätigkeit als sog. Organgesellschaft nicht selbständig ausübt und daher die Anforderungen des Unternehmerbegriffs nicht erfüllt. Dabei kann auch eine KG Organgesellschaft sein.

Die Person des Steuerpflichtigen kann sich aber auch aus einem (die Drittwirkung begründenden) Steuerbescheid ergeben. Da die Steuerfestsetzung durch einen Steuerbescheid erfolgt, der gemäß § 157 Abs. 1 Satz 2 AO die Angabe zu enthalten hat, "wer die Steuer schuldet", ist Steuerpflichtiger i.S. von § 166 AO auch derjenige, gegenüber dem eine Steuer zu Unrecht festgesetzt ist. Denn während der Steuerbescheid (§ 155 AO) im Regelfall lediglich deklaratorischen Charakter hat, da er lediglich feststellt, welche Steuer nach dem einschlägigen Gesetz geschuldet wird, wirkt der Steuerbescheid konstitutiv, soweit die Feststellung von der tatsächlich entstandenen Steuer abweicht. Denn auch insoweit "besteht" nach der Rechtsprechung des BFH "eine rechtswidrig, jedoch wirksam festgesetzte Steuerforderung, solange die Festsetzung nicht aufgehoben ist oder in anderer Weise ihre Rechtswirkungen verloren hat".

Für die Drittwirkung folgt hieraus, dass es unerheblich ist, ob die sie begründende Steuerfestsetzung rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Deshalb ist die Wirksamkeit rechtswidrig-bestandskräftiger Steuerbescheide (§ 124 Abs. 2 AO) auch im Verhältnis zwischen Organträger und Organgesellschaft zu berücksichtigen. Ist für eine Organgesellschaft entgegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine Steuerfestsetzung ergangen, ergibt sich hieraus eine Drittwirkung i.S. von § 166 AO, nach der aus dieser (materiell-rechtlich unzutreffenden) Steuerfestsetzung die Stellung der Organgesellschaft als eigenständiger Unternehmer und Steuerpflichtiger folgt, was eine Berücksichtigung dieser Gesellschaft als Organgesellschaft beim Organträger ausschließt.

Aufgrund dieser Steuerfestsetzungen ist es unerheblich, dass es materiell-rechtlich an einem Drittverhältnis fehlt, da es sich nach der geänderten BFH-Rechtsprechung bei den drei KGs um Organgesellschaften i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG handelt.

Der Unanfechtbarkeit standen die bis zu ihrer Aufhebung oder bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung geltenden Nachprüfungsvorbehalte i.S. von § 164 AO nicht entgegen. Zwar entfällt bei Steuerfestsetzungen, die unter Vorbehalt der Nachprüfung stehen, die Drittwirkung bereits mit dem Stellen von Änderungsanträgen nach § 164 Abs. 2 AO durch den vertretungsberechtigten Dritten. Derartige Änderungsanträge hat der Steuerpflichtige, der auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen bei jeder der KGs (über die vereinzelte Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts gemäß § 164 Abs. 3 Satz 1 AO hinaus) bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO) vertretungsberechtigt war, weder ausdrücklich noch konkludent gestellt.

Gegen das sich hieraus ergebende Erfordernis, Änderungsanträge zur Besteuerung der KGs zu stellen, spricht nicht, dass die KGs aufgrund derartiger Anträge einen für sie ansonsten bestehenden Schutz nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO verloren hätten. Denn bei einer Rechtsprechungsänderung können Organträger und Organgesellschaften nicht beanspruchen, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (hier: Organgesellschaft) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (hier: Organträger) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden. Aufgrund des vom Kläger gestellten Antrags verlieren die KGs daher als dessen Organgesellschaften den Änderungsschutz.

Das FG hatte § 166 AO, aus dem sich im Streitfall eine Bindungswirkung zu Lasten des Steuerpflichtigen ergibt, zu Unrecht unberücksichtigt gelassen. Die Bindungswirkung des § 166 AO zu Lasten des Steuerpflichtigen bezieht sich nur auf die Besteuerungsgrundlagen, die Gegenstand der unanfechtbar gegenüber den KGs ergangenen Steuerfestsetzungen sind, nicht aber auf die Umsätze, die (wie im Streitfall die von den Organ-GmbHs an die KGs erbrachten Ausgangsleistungen) Gegenstand der vorliegend angefochtenen Steuerfestsetzungen sind. Ohne diese Einschränkung käme einer für eine Organgesellschaft entgegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und damit rechtswidrig ergangenen Steuerfestsetzung der Charakter eines Grundlagenbescheids (§ 171 Abs. 10 AO) für die steuerrechtliche Beurteilung der vom Organträger selbst verwirklichten Umsätze (hier Ausgangsleistungen der bei ihm erfassten Organ-GmbHs an die KGs) zu.

Ist aufgrund der Unanfechtbarkeit von Steuerfestsetzungen (hier bei den KGs) eine dem materiellen Recht (hier § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) entsprechende Besteuerung nicht möglich, kann das FA, wenn wie vorliegend § 174 AO und andere Korrekturgrundlagen nicht anwendbar sind, gegen das Begehren des Organträgers, Ausgangsleistungen entsprechend dem materiellen Recht als nicht steuerbare Innenumsätze zu behandeln, nicht entgegenhalten, dass ein von den Organgesellschaften (hier den KGs) nach dem materiellen Recht rechtswidrig in Anspruch genommener Vorsteuerabzug verfahrensrechtlich nicht mehr korrigierbar ist. cc) Zum Umfang dieser Innenumsätze hatte das FG keine hinreichenden Feststellungen getroffen, weshalb der BFH den Streitfall an die Vorinstanz zurückverwies.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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