27.11.2025

Erste Tätigkeitsstätte bei vorübergehender Arbeitnehmerüberlassung

Finanzwirt Christian Weber, Rothenbach

Bei einer Arbeitnehmerüberlassung stellt sich die Frage, ob für den Arbeitnehmer eine erste Tätigkeitsstätte gegeben ist - und damit keine Reisekosten in Betracht kommen - und ob diese beim Arbeitgeber oder am Beschäftigungsort beim Entleiher vorliegt.

Praktische Fälle des Steuerrechts
Sachverhalt

A befindet sich seit 1.1.2024 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zu einem Zeitarbeitsunternehmen (B‑GmbH). Auf schriftliche Weisung der B‑GmbH wurde Z ab diesem Zeitpunkt vorübergehend der C‑AG überlassen. A fährt arbeitstäglich von seiner Wohnung zu der C‑AG.

Frage

Hat Z bei der C‑AG eine erste Tätigkeitsstätte?

Antwort

Nein, eine erste Tätigkeitsstätte liegt nicht vor.

Begründung
Erste Tätigkeitsstätte ...


Eine erste Tätigkeitsstätte nach § 9 Abs. 4 EStG liegt vor, wenn der Arbeitnehmer einer solchen Tätigkeitsstätte dauerhaft zugeordnet ist. Die dauerhafte Zuordnung des Arbeitnehmers wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen oder Weisungen bestimmt. Eine erste Tätigkeitsstätte kann auch bei einem vom Arbeitgeber bestimmten Dritten vorliegen. Von einer dauerhaften Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer Tätigkeitsstätte ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer dort unbefristet oder für die gesamte Dauer seines Dienstverhältnisses oder von vornherein länger als 48 Monate arbeiten soll (§ 9 Abs. 4 S. 3 EStG).

... nicht bei befristeter Zuordnung zum Entleiher

Hier besteht ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zum Verleiher. Für diesen Fall hat der BFH klargestellt, dass bei einem befristeten Arbeitsverhältnis zum Entleiher das Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitgeber (Verleiher) und dem (Leih-) Arbeitnehmer für die Frage maßgebend ist, ob der Arbeitnehmer einer betrieblichen Einrichtung i.S.d. § 9 Abs. 4 S. 1 bis 3 EStG dauerhaft zugeordnet ist. Der Entleiher nimmt nur die Arbeitsleistung entgegen, lenkt sie nach Bedarf durch Weisungen und erfüllt die korrespondieren Fürsorgepflichten. Es liegt demnach keine dauerhafte Zuordnung i.S.d. § 9 Abs. 4 S. 3 EStG vor, wenn der Leiharbeitnehmer im Rahmen seines unbefristeten Arbeitsverhältnisses beim Entleiher nur befristet zugeordnet wird.

Unbefristete Zuordnung zum Entleiher ...

Entsprechend dieser Grundsätze des BFH geht die Finanzverwaltung davon aus, dass bei einem unbefristeten Zeitarbeitsvertrag und der unbefristeten (hierzu gehört "bis auf Weiteres" und demnach sicherlich auch "vorübergehend") Zuordnung zum Entleiher (sowie über einen Zeitraum von über 48 Monaten) eine dauerhafte Zuordnung und somit einer erste Tätigkeitsstätte beim Entleiher vorliegt. Seit dem 1.4.2017 hat das Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) in § 1 Abs. 1 i.V.m. Abs. 1b aber die Überlassung eines Arbeitnehmers grundsätzlich auf 18 Monate begrenzt. Die Finanzverwaltung ist der Auffassung, dass die neue Regelung für das Steuerrecht keine Auswirkung hat.

... lt. BFH nicht denkbar

Der BFH hat dagegen entschieden, dass bei einem unbefristeten Leiharbeitsverhältnis eine dauerhafte Zuordnung des Leiharbeitnehmers zu einer ersten Tätigkeitsstätte beim Entleiher regelmäßig nicht in Betracht kommt. Hierfür ist - entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung - das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verantwortlich. So verbot schon § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG in der bis zum 31.3.2017 geltenden Fassung die mehr als vorübergehende und damit die unbefristete Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher. Nach der nun seit dem 1.4.2017 geltenden Fassung des § 1 Abs. 1b AÜG darf der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer - vorbehaltlich einer abweichenden tarifvertraglichen Regelung über die Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b S. 3 ff. AÜG - demselben Entleiher nicht länger als 18 Monate überlassen. Scheidet damit eine unbefristete Überlassung des Leiharbeitnehmers an den Entleiher von Gesetzes wegen aus, gilt dies gleichermaßen für die damit zusammenhängende Zuordnung des Leiharbeitnehmers an eine Tätigkeitsstätte des Entleihers.

A kann daher für seine Fahrtkosten Reisekosten geltend machen.

Anmerkung

Eine erste Tätigkeitsstätte kann daher regelmäßig nur vorliegen, wenn beim Verleiher ein befristetes Arbeitsverhältnis besteht und der Leiharbeitnehmer für die Dauer der Befristung (wenn unter 18 Monaten) dem Entleiher überlassen wird.

Der BFH hat zusätzlich klargestellt, dass durch eine Änderung eines befristeten Leiharbeitsverhältnisses in ein unbefristetes (beim Verleiher) eine wesentliche Änderung des maßgeblichen Arbeitsverhältnisses eintritt und dies eine Neubeurteilung der Zuordnungsentscheidung erfordert. Demnach kann bei einem bisher befristeten Arbeitsverhältnis zum Verleiher und Überlassung für die Dauer der Befristung an den Entleiher, zunächst eine erste Tätigkeitsstätte vorliegen, die dann aber - nach der Änderung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis - nicht mehr gegeben ist.
Verlag Dr. Otto Schmidt