14.11.2024

Freibetrag für das Kind eines zivilrechtlich als verstorben geltenden Elternteils

Der zivilrechtliche Verzicht eines Kindes gegenüber seinen Eltern auf den gesetzlichen Erbteil bewirkt nicht, dass seinem Kind ‑ dem Enkel des Erblassers ‑ der Freibetrag zu gewähren ist, der im Falle des Versterbens des Kindes zu gewähren ist. Das Erbschaftsteuerrecht folgt insoweit nicht der Fiktion des Zivilrechts. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Kurzbesprechung
BFH v. 31.7.2024 - II R 13/22

BGB § 1953, § 2344 Abs. 1, § 2346 Abs. 1 Satz 1, § 2346 Abs. 1 Satz 2
ErbStG § 15 Abs. 1, § 16 Abs. 1 Nr. 2, § 16 Abs. 1 Nr. 3
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2


Im Streitfall hatte der Vater des Steuerpflichtigen gegenüber seinem eigenen Vater - dem Großvater des Steuerpflichtigen - vertraglich auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet. Zivilrechtlich galt der Vater deshalb als verstorben und hatte auch keinen Anspruch auf einen Pflichtteil (§ 2346 Abs. 1 BGB). Als der Großvater verstarb, wurde der Steuerpflichtige, also sein Enkel, gesetzlicher Erbe. Er beantragte deshalb, ihm für die Erbschaft einen Freibetrag in Höhe von 400.000 € zu gewähren. Dabei handelt es sich um den Freibetrag, der ihm als Enkel zu gewähren wäre, wenn sein Vater tatsächlich vorverstorben wäre (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ErbStG).

Das FA berücksichtigte jedoch nur einen Freibetrag in Höhe von 200.000 €, den Freibetrag, der ihm als Enkel nach seinem verstorbenen Großvater zustand, da sein eigener Vater zwar auf seinen gesetzlichen Erbteil verzichtet hatte, aber bei Tod des Großvaters noch am Leben war (§ 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG).

Die Klage und nachfolgend auch die Revision blieben erfolglos. Der BFH verwies auf den insoweit eindeutigen Wortlaut des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ErbStG, der unter den dort genannten Umständen den höheren Freibetrag von 400.000 € gewährt. Er benennt als Empfänger des höheren Freibetrags "Kinder verstorbener Kinder". Lediglich als verstorben geltende Kinder werden nicht aufgeführt. Die erbschaftsteuerrechtlichen Freibetragsregelungen wollen die Abkömmlinge der ersten Generation (Kinder) begünstigen.

Bei den Enkeln hat der Gesetzgeber die familiäre Verbundenheit nicht als so eng angesehen und gibt ihnen einen geringeren Freibetrag (200.000 €). Lediglich wenn die eigene Elterngeneration vorverstorben ist, sieht der Gesetzgeber die Großeltern für das Auskommen der "verwaisten Enkel" in der Pflicht und gewährt ihnen den höheren Freibetrag von 400.000 €. Eine Ausdehnung des höheren Freibetrags auf Kinder, die nur vom Gesetz als verstorben angesehen werden, die aber tatsächlich bei Tod des Großelternteils noch leben, hat der Gesetzgeber nicht gewollt. Die Vergünstigung ist daher nicht geboten, wenn der Abkömmling des Erblassers noch lebt und weiterhin für die finanzielle Ausstattung seines Kindes, das heißt des Enkels des Erblassers, sorgen kann.

Außerdem kann das von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossene Kind weiterhin bei Tod seines Elternteils testamentarisch erben und dann seinen eigenen Freibetrag als Kind in Höhe von 400.000 € (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 ErbStG) in Anspruch nehmen. Würde gleichzeitig dem Enkel auch der höhere Freibetrag gewährt, wäre das eine legale Steuerumgehungsmöglichkeit in Gestalt einer Doppelbegünstigung, die von Gesetzes wegen nicht gewollt ist. Der BFH hält die Norm auch für verfassungsgemäß.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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