20.09.2012

Inhalt der Grundbesitzakte stellt keine neue Tatsache dar

Eine Tatsache ist nachträglich bekannt geworden, wenn sie das Finanzamt beim Erlass des zu ändernden Bescheides noch nicht kannte. Umstände, die das Finanzamt bereits aus der Grundbesitzakte entnehmen konnte, stellen keine neuen Tatsachen i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO dar.

FG Münster 26.7.2012, 3 K 207/10 E
Der Sachverhalt:
Der Kläger erzielte in den Streitjahren 2003 bis 2006 u.a. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung verschiedener Immobilien. Er finanzierte die Anschaffung der Grundstücke durch Darlehen. Wegen einer teilweisen Selbstnutzung konnte er die Schuldzinsen nur anteilig als Werbungskosten geltend machen. Hierzu hatte er bereits in den Vorjahren Unterlagen eingereicht, die das Finanzamt zur Grundbesitzakte nahm und Überwachungsbögen für die Gebäudeabschreibungen anlegte.

In seinen Steuererklärungen für die Streitjahre machte der Kläger aufgrund einer fehlerhaften Aufteilung der Schuldzinsen einen zu hohen Schuldzinsenabzug geltend. Das Finanzamt veranlagte den Kläger zunächst erklärungsgemäß. Im Rahmen einer späteren Überprüfung des Schuldzinsenabzugs durch das Finanzamt reichte der Kläger zutreffende Anlagen V ein, woraufhin das Finanzamt die Steuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zulasten des Klägers änderte.

Der Kläger war der Ansicht, dass dem Finanzamt alle für die Beurteilung des Sachverhalts erforderlichen Unterlagen und Belege zum Zeitpunkt der Veranlagungen vorgelegen hätten, weshalb nachträglich keine neuen Tatsachen i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO bekannt geworden sein konnten. Das FG gab der Klage statt.

Die Gründe:
Die Voraussetzungen für eine Änderung hatten nicht vorgelegen, weshalb die Änderungsbescheide aufzuheben waren.

Entgegen der Ansicht des Finanzamtes lagen die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vor. Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache i.S.d. Vorschrift ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller und immaterieller Art. Dazu gehören keine Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen.

Eine Tatsache ist nachträglich bekannt geworden, wenn sie das Finanzamt beim Erlass des zu ändernden Bescheides noch nicht kannte. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Kenntnisstand ist die abschließende Zeichnung des für die Steuerfestsetzung zuständigen Beamten. Bekannt ist der zuständigen Dienststelle insbesondere der Inhalt der dort geführten Akten. Infolgedessen waren die hier maßgeblichen Tatsachen dem Finanzamt nicht nachträglich bekannt geworden. Der Umstand, dass die Grundstücke nicht vollständig fremdvermietet waren und auch die Aufteilungsprozentsätze konnten bereits aus der Grundbesitzakte und den Eintragungen auf den Überwachungsbögen erschlossen werden.

Die aus den fehlerhaften Steuererklärungen folgende Mitwirkungspflichtverletzung des Klägers führte nicht zu einem anderen Ergebnis. Da somit bereits die Tatbestandsvoraussetzungen der Änderungsvorschrift nicht vorlagen, konnten etwaige Pflichtverletzungen keine Änderungsmöglichkeit eröffnen.

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