01.12.2022

Jahr des Rentenbeginns bei aufgeschobener Altersrente

1. Das ‑‑für die Höhe des Besteuerungsanteils maßgebliche‑‑ "Jahr des Rentenbeginns" (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG) ist das Jahr, in dem der Rentenanspruch entstanden ist, also seine Voraussetzungen erfüllt sind.
2. Wird der Beginn des Renteneintritts auf Antrag des Rentenberechtigten zur Erlangung eines höheren Rentenanspruchs über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus aufgeschoben, ist der Zeitpunkt maßgeblich, den der Rentenberechtigte in Übereinstimmung mit den entsprechenden Rechtsgrundlagen des für ihn geltenden Versorgungssystems als Beginn seiner aufgeschobenen Altersrente bestimmt.
3. Der erstmals für das Jahr, das dem Jahr des Rentenbeginns folgt, zu ermittelnde steuerfreie Teilbetrag der Rente hat für Folgejahre keine Bindungswirkung. Ein eventueller Fehler, der dem FA in einem bestandskräftig veranlagten Vorjahr bei der Ermittlung des steuerfreien Rententeilbetrags unterlaufen ist, ist daher nicht in die Folgejahre zu übernehmen.

Kurzbesprechung
BFH v. 31. 8. 2022 - X R 29/20

EStG § 22 Nr. 1 S 3 Buchst a DBuchst aa S 3, § 22 Nr. 1 S 3 Buchst a DBuchst aa S 5
AO § 157 Abs 2 § 179 Abs 1, § 182 Abs 1 S 1
GG Art 3 Abs 1


Im Streitfall ging es verfahrensrechtlich um die Frage, ob der für das Jahr des Rentenbeginns bestimmte steuerfreie Betrag auch Bindungswirkung für die Folgejahre hat und einkommensteuerrechtlich, wann der Beginn der Rente zeitlich zu bestimmen ist, wenn der Beginn des Renteneintritts auf Antrag des Rentenberechtigten zur Erlangung eines höheren Rentenanspruchs über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus aufgeschoben wird.

1. Bestimmung des steuerfreien Anteils im Jahr des Rentenbeginns kein Grundlagenbescheid

Leibrenten, die u.a. aus den berufsständischen Versorgungswerken erbracht werden, gehören zu den Einkünften aus wiederkehrenden Bezügen, soweit sie jeweils der Besteuerung unterliegen (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 1 EStG). Der Anteil, der der Besteuerung unterliegt, ist nach dem "Jahr des Rentenbeginns" und dem für dieses Jahr maßgebenden Prozentsatz aus der in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG enthaltenen Tabelle zu entnehmen. Der Unterschiedsbetrag zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem der Besteuerung unterliegenden Anteil der Rente ist der steuerfreie Teil der Rente. Dieser gilt ab dem Jahr, das dem Jahr des Rentenbeginns folgt, für die gesamte Laufzeit des Rentenbezugs (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Sätze 4 und 5 EStG).

Der BFH hat nun klargestellt, dass sich dieser Regelungssystematik nicht entnehmen lässt, dass der erstmals für das dem Jahr des Rentenbeginns folgende Jahr zu ermittelnde steuerfreie Teilbetrag der Rente für die Folgejahre eine Bindungswirkung entfalten soll und damit ein eventueller Fehler, der dem FA bei der Ermittlung des steuerfreien Rententeilbetrags in dem genannten Jahr unterlaufen sein sollte, zwingend auch in die Folgejahre zu übernehmen wäre.

Vielmehr ist die in § 182 Abs. 1 Satz 1 AO vorgesehene Bindungswirkung auf Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen beschränkt. Die Durchführung einer solchen gesonderten Feststellung setzt gemäß § 179 Abs. 1 AO jedoch eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung entweder in der AO oder in einem anderen Steuergesetz voraus. Daran fehlt es für die Höhe des steuerfreien Rententeilbetrags. Damit gilt aber der Grundsatz des § 157 Abs. 2 AO, wonach die Besteuerungsgrundlagen einen mit Rechtsbehelfen nicht selbständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheids darstellen, soweit sie nicht gesondert festgestellt werden. Aus dieser fehlenden selbständigen Anfechtbarkeit folgt zugleich ihre fehlende Bindungswirkung für künftige Veranlagungszeiträume.

2. Höhe des steuerfreien Rentenanteils bei Rentenbeginn nach Erreichen der Regelaltersgrenze

In Fällen, in denen der Beginn des Renteneintritts auf Antrag des Rentenberechtigten zur Erlangung eines höheren Rentenanspruchs über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus aufgeschoben wird, ist zur Bestimmung des "Jahres des Rentenbeginns" der Zeitpunkt maßgeblich, den der Rentenberechtigte in Übereinstimmung mit den entsprechenden Rechtsgrundlagen des für ihn geltenden Versorgungssystems als Beginn der aufgeschobenen Altersrente bestimmt. Erst zu diesem Zeitpunkt entsteht der Anspruch auf aufgeschobene Altersrente, der wesentlich höher ist als der Anspruch auf Regelaltersrente und daher mit diesem nicht identisch ist. Diese vom BFH vertretene Rechtsauffassung ist auch verfassungsgemäß.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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