16.12.2021

Keine Ablaufhemmung beim Bauleistenden in sog. Bauträgerfällen

Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 14 AO setzt voraus, dass der Erstattungsanspruch vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden ist. In den sog. Bauträgerfällen führt ein Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers (Bauträger) nicht zu einer Ablaufhemmung für die Steuerfestsetzung beim Bauleistenden, wenn im Zeitpunkt der Festsetzung des Erstattungsanspruchs bereits Festsetzungsverjährung beim Bauleistenden eingetreten ist.

Kurzbesprechung
BFH v. 27.7.2021 - V R 3/20

AO §§ 37 Abs. 2, § 169 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 171 Abs. 10 und Abs. 14, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
UStG § 13b, 27 Abs. 19


Die Steuerpflichtige ist eine Tischlerei in der Rechtsform einer KG. Diese erbrachte im Streitjahr Bauleistungen (Errichtung einer Treppenanlage) an einen Bauträger (Firma X). Die Vertragspartner gingen - entsprechend der damaligen Verwaltungsauffassung - davon aus, dass die Firma X als Leistungsempfängerin die Umsatzsteuer schulde (§ 13b UStG a.F.). Die Steuerpflichtige wies daher in ihrer Rechnung vom 19.8.2009 keine Umsatzsteuer aus und erfasste diesen Umsatz auch nicht in ihrer am 30.12.2010 beim FA eingereichten Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Streitjahr. Nach Zustimmung des FA vom 3.3.2011 stand die Umsatzsteuer-Jahreserklärung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 AO).

Im Anschluss an das Urteil des BFH vom 22.08.2013 - V R 37/10 (BStBl II 2014, 128) beantragte die Firma X als Leistungsempfängerin mit Schreiben vom 30.12.2014 die Erstattung der von ihr als Steuerschuldnerin nach § 13b UStG a.F. an das FA gezahlten Umsatzsteuer.

Das FA forderte die Steuerpflichtige am 15.7.2015 auf, eine berichtigte Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr unter Berücksichtigung des Umsatzes an die Firma X einzureichen und wies auf die Möglichkeit hin, den zivilrechtlichen Zahlungsanspruch gegen den Leistungsempfänger an das Bundesland B abzutreten. Dem kam die Steuerpflichtige nicht nach, weil sie davon ausging, dass bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei und die Umsatzsteuerfestsetzung 2009 daher vom FA nicht mehr geändert werden könne. Mit dem gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 26.3.2018 erhöhte das FA unter Hinweis auf eine Hemmung der Verjährung nach § 171 Abs. 14 AO die Umsätze zum Regelsteuersatz um das Nettoentgelt für die Bauleistung der Steuerpflichtigen an die Firma X. Der Einspruch blieb erfolglos, nach Stattgabe im Klageverfahren wies auch der BFH die vom FA eingelegte Revision zurück.

Nach den Feststellungen des FG hatte die Steuerpflichtige ihre Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Streitjahr am 30.12.2010 beim FA eingereicht. Die Festsetzungsfrist begann daher mit Ablauf des Jahres 2010 und endete mit Ablauf des 31.12.2014. Im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Umsatzsteuer-Änderungsbescheids vom 26.3.2018 war die reguläre Festsetzungsfrist somit bereits seit mehreren Jahren abgelaufen.

Die Voraussetzungen für die Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 14 AO, wonach die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht endet, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht verjährt ist (§228 AO), lagen nicht vor.

§ 171 AO hemmt nur den Ablauf einer offenen Festsetzungsfrist, kann diese aber nach einmal eingetretener Festsetzungsverjährung nicht erneut anlaufen lassen. Denn nach § 47 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis insbesondere durch Verjährung (§§ 169 bis 171, §§ 228 bis 232 AO). Das Erlöschen ist endgültig, sodass ein erloschener Anspruch nicht wieder aufleben kann. Ereignisse, die eine Hemmung der Verjährung bewirken könnten, gehen daher nach Eintritt der Festsetzungsverjährung ins Leere. Die verjährungshemmenden Tatbestände des § 171 AO schieben den Eintritt der Verjährung über den regulären Zeitpunkt hinaus, eröffnen aber nicht eine einmal abgelaufene Festsetzungsfrist erneut. Die Vorschrift enthält somit keine Rechtsgrundlage für ein erneutes Anlaufen der Festsetzungsfrist.

Auch bei Anwendung von § 171 Abs. 14 AO kommt es somit   neben dem Vorliegen eines mit dem Steueranspruch "zusammenhängenden Erstattungsanspruchs"   darauf an, dass dieser Erstattungsanspruch bereits vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden ist.

Der Erstattungsanspruch i.S. des § 37 Abs. 2 AO setzt u.a. voraus, dass eine Steuer oder steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist oder der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt. Für die Frage, ob ein Rechtsgrund für eine Steuerzahlung besteht, ist § 171 Abs. 14 AO nach der Rechtsprechung des BFH nicht im Sinne der sog. materiellen Rechtsgrundtheorie, sondern der formellen Rechtsgrundtheorie auszulegen. Maßgeblich ist demnach, dass es für die Zahlung des Steuerpflichtigen an einem formalen Rechtsgrund in Gestalt eines wirksamen Steuerbescheids fehlt.

Da der Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch der Leistungsempfängerin nach Maßgabe der formellen Rechtsgrundtheorie erst mit der Änderung des Umsatzsteuerbescheids 2009 gegenüber der Firma X frühestens in 2015 entstanden sein kann, ist eine Hemmung nach § 171 Abs. 14 AO ausgeschlossen. Denn die reguläre Festsetzungsverjährung trat bereits mit Ablauf des 31.12.2014 ein.

Eine Befugnis des FA zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2009 gegenüber der Steuerpflichtigen ergibt sich auch nicht aus anderen Rechtsnormen. § 27 Abs. 19 UStG beinhaltet keine Ablaufhemmung für die Umsatzsteuerfestsetzung gegenüber dem leistenden Unternehmer und die Rechtsprechung des BFH zur (fehlenden) Steuerschuldnerschaft von Bauträgern als Leistungsempfänger von Bauleistungen stellt kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar, das die Änderung eines Steuerbescheids rechtfertigt.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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