15.01.2014

Keine Bindungswirkung einer familiengerichtlichen Bestimmung des Kindes zum Kindergeldberechtigten

Die nach § 64 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 4 EStG durch das Familiengericht zu treffende Entscheidung, welcher von mehreren gleichrangig Kindergeldberechtigten vorrangig bei der Kindergeldfestsetzung zu berücksichtigen ist, entfaltet keine Tatbestandswirkung für das Festsetzungsverfahren der Familienkasse, wenn sie unter Überschreitung des gesetzlichen Entscheidungsrahmens eine nach §§ 62 f. EStG nicht kindergeldberechtigte Person (insbesondere das Kind selbst) zum Berechtigten bestimmt.

BFH 8.8.2013, III R 3/13
Der Sachverhalt:
Die Klägerin befand sich in der Zeit von August 2009 bis Juli 2011 in einer Berufsausbildung zur Fachkraft im Gastgewerbe. Zu Beginn der Ausbildung war sie 24 Jahre alt. Sie lebte in dieser Zeit in einem eigenen Haushalt. Ihr Vater saß im Gefängnis, die Mutter unterhielt einen eigenen Hausstand. Beide Elternteile erbrachten keine Unterhaltsleistungen gegenüber der Klägerin.

Im Oktober 2009 beantragte die Klägerin bei der Familienkasse die Auszahlung des Kindergeldes an sich selbst. Ihr Vater hatte sich geweigert, an der Beantragung des Kindergeldes mitzuwirken. Auf Anraten der Familienkasse beantragte die Klägerin beim Familiengericht, die Bestimmung des vorrangig Kindergeldberechtigten durchzuführen. Das Familiengericht bestimmte jedoch nicht einen der Elternteile zum vorrangig Kindergeldberechtigten, sondern die Klägerin selbst.

Daraufhin lehnte die Familienkasse die Abzweigung des Kindergeldes an die Klägerin mit der Begründung ab, dass die Berechtigtenbestimmung des Familiengerichts nicht anerkannt werden könne, da sie offenkundig über die gesetzlich zugelassenen Möglichkeiten hinausgehe. Deshalb könne auch nicht festgestellt werden, aus wessen Kindergeldanspruch das Kindergeld an die Klägerin ausgezahlt werden solle.

Im hiergegen gerichteten Klageverfahren hatte das Familiengericht auf Anfrage des FG eine Änderung des Beschlusses unter Berufung auf dessen Rechtskraft abgelehnt. Das FG gab daraufhin der gegen die Ablehnung der Abzweigung gerichteten Klage statt. Auf die Revision der Familienkasse hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Die Gründe:
Dass das FG auf eine gegen die Ablehnung der Abzweigung gerichtete Klage die Familienkasse verpflichtet hatte, Kindergeld zugunsten des Kindes festzusetzen, stellte einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar. Insoweit hat der Senat bereits entschieden, dass die nach § 74 Abs. 1 S. 1 EStG erfolgende Auszahlung von Kindergeld an einen Dritten - hier das Kind - nicht zum Festsetzungs-, sondern zum Auszahlungsverfahren gehört, das dem Erhebungsverfahren entspricht. Sie betrifft nicht die Anspruchs-, sondern die Empfangsberechtigung. Demgegenüber hat das FG eine Entscheidung hinsichtlich des Festsetzungsverfahrens getroffen, indem es festgestellt hatte, dass die Klägerin einen Anspruch auf Kindergeld habe und ihr deshalb Kindergeld für diesen Zeitraum zu gewähren sei. Insoweit hat das FG über etwas anderes entschieden als die Klägerin durch ihren Antrag begehrt und zur Entscheidung gestellt hatte.

Der Auffassung des vom FG um Änderung seines Beschlusses ersuchten Familiengerichts, wonach einer erneuten Entscheidung die Rechtskraft des ersten Beschlusses entgegenstand, konnte sich der Senat nicht anschließen. Die nach § 64 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 4 EStG durch das Familiengericht zu treffende Entscheidung, welcher von mehreren gleichrangig Kindergeldberechtigten vorrangig bei der Kindergeldfestsetzung zu berücksichtigen ist, entfaltet keine Tatbestandswirkung für das Festsetzungsverfahren der Familienkasse, wenn sie unter Überschreitung des gesetzlichen Entscheidungsrahmens eine nach §§ 62 f. EStG nicht kindergeldberechtigte Person (insbesondere das Kind selbst) zum Berechtigten bestimmt. Die Familienkasse hat an dem Vorrangbestimmungsverfahren des Familiengerichts nach § 64 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 4 EStG mitzuwirken, indem sie gegenüber dem Familiengericht diejenigen gleichrangig Kindergeldberechtigten benennt, aus denen das Familiengericht den vorrangig Kindergeldberechtigten auszuwählen hat.

Entgegen der Auffassung des FG konnte auch der Grundsatz von Treu und Glauben keinen Anspruch der Klägerin auf Festsetzung von Kindergeld zu ihren Gunsten begründen. Zwar ist der Grundsatz auch im Steuerrecht anzuwenden. Nach ständiger BFH-Rechtsprechung bringt er jedoch keine Steueransprüche zum Erstehen oder zum Erlöschen, sondern kann allenfalls verhindern, dass eine Forderung oder ein Recht geltend gemacht werden kann. Ein treuwidriges Verhalten kann daher nicht dazu führen, Steuerrechtsfolgen zu begründen oder zu verneinen, die materiell-rechtlich nicht bestehen. Daher kann der Grundsatz von Treu und Glauben auch eine Kindergeldberechtigung eines Kindes, die das EStG bereits nicht vorsieht, nicht zum Entstehen bringen.

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