06.02.2025

Keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Zweifel an der Regelung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG

An der Regelung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG in der Fassung des Art. 3 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (BGBl. I 2019, S. 2451) bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Zweifel.

FG Münster v. 13.12.2024 - 12 K 2819/22 Kg
Der Sachverhalt:
Die Klägerin und ihr Ehemann sind tunesische Staatsangehörige. Von Februar 2021 bis Januar 2022 hatte die Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes in der ab dem 1.3.2020 geltenden Fassung (AufenthG 2020), die ihr eine Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet erlaubte. Seitdem werden Fiktionsbescheinigungen auf Grundlage von § 81 Abs. 4 AufenthG erteilt, wonach der Aufenthaltstitel bis August 2022 fortbestehe. Während des Streitzeitraums (November 2021 bis Juni 2022) war die Klägerin weder erwerbstätig noch befand sie sich in Elternzeit nach § 15 BEEG noch bezog sie laufende Geldleistungen nach dem SGB III.

Die Familienkasse lehnte den Kindergeldantrag der Klägerin mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG nicht erfüllt seien. Im Rahmen ihrer hiergegen gerichteten Klage machte die Klägerin geltend, die Regelungslage sei verfassungswidrig.

Das FG hat die Klage gegen den Ablehnungsbescheid abgewiesen. Allerdings wurde die Revision zum BFH zugelassen.

Die Gründe:
Die Klägerin hat im Streitzeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld, da sie die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht erfüllt hat.

Maßgeblich für den Kindergeldanspruch ist nach § 52 Abs. 49a Satz 2 EStG die Regelung des § 62 EStG in der Fassung des Art. 3 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019. Daher erhält die Klägerin als nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 3 AufenthG 2020 erteilt wurde, nur dann Kindergeld, wenn sie erwerbstätig ist oder Elternzeit nach § 15 BEEG bzw. laufende Geldleistungen nach dem SGB III in Anspruch nimmt (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG). Diese Voraussetzungen hat die Klägerin aber nicht erfüllt.

Vor dem Hintergrund der Entscheidungen des BVerfG vom 28.6.2022 (Az. 2 BvL 9/14, 2 BvL 10/14, 2 BvL 13/14, 2 BvL 14/14) zu § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG (in der Fassung vom 13.12.2006) sowie vom 15.6.2023 zu den Vorlagebeschlüssen des Niedersächsischen FG vom 19.8.2013 (Az. 2 BvL 11/14 und 2 BvL 12/14) bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Zweifel an der maßgeblichen Fassung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG. Bei von vornherein nur für einen begrenzten Zeitraum erteilten Aufenthaltserlaubnissen - wie bei der Erlaubnis nach § 20 Abs. 3 AufenthG  - sprechen tragfähige Gründe dafür, dass deren Inhaber sich aller Voraussicht nach nicht dauerhaft in Deutschland aufhalten wird und der Gesetzgeber aus diesem Grund den Anspruch auf Kindergeld ohne Überschreitung seines Gestaltungsspielraums grundsätzlich verwehren kann. Sollte ausnahmsweise nach§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG eine Anspruchsberechtigung bestehen soweit der Anspruchsteller bereits in den Arbeitsmarkt integriert ist, wird dies vom Gesetzgeber nicht mit einer voraussichtlich längeren Aufenthaltsdauer, sondern zwecks Erleichterung der Fachkräftegewinnung und Setzung eines Anreizes zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit begründet.

Die tragenden Erwägungen der Entscheidung des BVerfG vom 28.6.2022, wonach die Integration in den Arbeitsmarkt bei § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG 2006 kein hinreichendes Differenzierungskriterium im Hinblick auf die Bleibeperspektive ist, können folglich nicht auf die für den Streitfall maßgebliche Fassung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG übertragen werden. Aufgrund der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers ergeben sich auch keine durchgreifenden Bedenken daraus, dass der Klägerin der Aufenthaltstitel nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG 2020 gerade zur Suche eines Arbeitsplatzes, zu dessen Ausübung ihre Qualifikation befähigt, erteilt worden war.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus den Vorlagebeschlüssen des Niedersächsischen FG vom 19.8.2013 (Az. 7 K 112/13), die das BVerfG am 15.6.2023 als unzulässig verworfen hat. Die Vorlagebeschlüsse waren zu der vorherigen Regelung des § 62 Abs. 2 EStG 2006 ergangen und hatten daher die gesetzgeberische Entscheidung für die Neuregelung bereits nicht berücksichtigen können. Zudem hat das BVerfG in dem Beschluss vom 15.6.2023 (2 BvL 11/14) im Hinblick auf § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG 2006 darauf hingewiesen, dass die von dieser Regelung umfassten Aufenthaltserlaubnisse - worunter nach alter Rechtslage auch die Erlaubnis der Klägerin gefallen war - erkennbar nur für einen begrenzen Zeitraum erteilt wurden und dies in die Beurteilung einer etwaigen Bleibeperspektive einzubeziehen ist.

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