29.01.2014

Keine Entschädigung bei Rechtsprechungsänderung

In Fällen, in denen der Kläger im Ausgangsverfahren ausschließlich wegen der überlangen Dauer des Verfahrens obsiegt, da zu einem Zeitpunkt, in dem das Ausgangsverfahren bereits als verzögert anzusehen war, eine ihm zugunsten wirkende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Rechtsfrage eingetreten ist, hat der Kläger durch die überlange Dauer des Ausgangsverfahrens keinen "Nachteil" erlitten. Infolgedessen kann er weder eine Geldentschädigung noch die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer beanspruchen.

BFH 20.11.2013, X K 2/12
Der Sachverhalt:
Der Kläger hat in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2004 beantragt, außergewöhnliche Belastungen in Form von Kosten für einen zivilgerichtlichen Rechtsstreit zu berücksichtigen. Dieser hatte eine zu Lasten seines Eigentums im Grundbuch eingetragene Grunddienstbarkeit und eine Garage zum Gegenstand. Das Finanzamt lehnte die Berücksichtigung dieser Kosten, die zu einer Steuerminderung von 169 € geführt hätten, ab.

Dagegen richtete sich die im November 2005 beim FG eingegangene Klage. Diese wurde durch Urteil aus September 2010 abgewiesen, da nach ständiger BFH-Rechtsprechung bei Zivilprozesskosten eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit spreche. Der BFH hob das Urteil im Januar 2011 wegen Verletzung rechtlichen Gehörs auf und verwies die Sache zurück an das FG.

Im zweiten Rechtsgang wies ein anderer Senat des FG die Klage im April 2011 mit ähnlicher Begründung erneut ab. Zudem sei das Anliegen, auf dem die zivilrechtlichen Streitigkeiten beruhten, nämlich eine Garage, nicht existentiell gewesen. Auf die erneute Beschwerde des Klägers ließ der BFH die Revision zu und legte nach Erledigung der Hauptsache durch Beschluss im Februar 2012 die Kosten des gesamten Verfahrens dem Finanzamt auf. Das Urteil des FG war damit gegenstandslos.

Im Mai 2012 erhob der Kläger die vorliegende Entschädigungsklage wegen unangemessen langer Verfahrensdauer. Die Verfahrensdauer habe allein im ersten Rechtszug vor dem FG mehr als vier Jahre und neun Monate betragen. Die Klage blieb allerdings vor dem BFH erfolglos.

Die Gründe:
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer noch auf Entschädigung.

Die lange Verfahrensdauer hatte dem Kläger - abgesehen von der langen Ungewissheit über den Verfahrensausgang - ausschließlich gewichtige Vorteile verschafft. Infolgedessen war die Nachteilsvermutung nach § 198 Abs. 2 S. 1 GVG als widerlegt anzusehen. Der Kläger hat nämlich den Vorteil, den Rechtsstreit gewonnen zu haben, ausschließlich deswegen erreicht, weil das Verfahren so lange gedauert hatte. Hätte das FG auch nur geringfügig früher entschieden, hätte er den Rechtsstreit verloren. Somit wurde der aus der überlangen Verfahrensdauer folgende Nachteil ausnahmsweise durch die dem Kläger zugutekommende Rechtsprechungsänderung ausgeglichen und kompensiert.

Bis zum Jahr 2011 - und damit auch noch zum Zeitpunkt der erstmaligen Entscheidung des FG - war nach ständiger BFH-Rechtsprechung davon auszugehen, dass die Kosten eines Zivilprozesses grundsätzlich nicht zwangsläufig waren. Der VI. Senat hatte noch in einem Beschluss aus Januar 2011 (Az.: VI B 60/10) auf diese Rechtsprechung Bezug genommen, ohne sie in Frage zu stellen. Nach diesen Grundsätzen hätte die Klage im Ausgangsverfahren keinen Erfolg haben können, wenn über sie innerhalb desjenigen Zeitraums entschieden worden wäre, den der Kläger als noch angemessene Verfahrensdauer ansah.

Erst mit der Entscheidung vom 12.5.2011 (Az.: VI R 42/10) änderte der BFH seine Rechtsprechung und erkannte Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen an. Die geänderte Rechtsprechung war aber noch nicht zum Zeitpunkt der Entscheidung des FG im zweiten Rechtsgang im April 2011 bekannt. Erst im nachfolgenden Rechtsmittelverfahren konnte das Begehren des Klägers letztlich Erfolg haben. Zwar konnte theoretisch nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger bei einer früheren Entscheidung des FG seinerseits die tatsächlich dann im Mai 2011 eingetretene Rechtsprechungsänderung erwirkt hätte. Dies stellte jedoch eine nicht belegbare Hypothese dar. Eine positive Feststellung zu der Frage, wie sich das Ausgangsverfahren u.a. Bedingungen entwickelt hätte, war nicht möglich. Für die Frage, wie sich die lange Verfahrensdauer ausgewirkt hat, ist der tatsächliche und nicht ein auf einer Fiktion beruhender hypothetischer Kausalverlauf maßgebend.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
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