19.07.2013

Keine Unbilligkeit der Erhebung von - nicht steuermindernden - Nachzahlungszinsen

Die Erhebung von Nachzahlungszinsen ist auch dann nicht unbillig, wenn sie nicht mehr steuermindernd geltend gemacht werden können. Denn es würde den Wertungen des Gesetzgebers widersprechen, der Beseitigung einer als systemwidrig angesehenen Steuerabzugsmöglichkeit durch eine individuelle Billigkeitsmaßnahme entgegenzuwirken.

FG Düsseldorf 1.7.2013, 4 K 872/12 AO
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Rechtsanwalt und erzielte Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter. Vom Finanzamt wurde er für die Veranlagungszeiträume 1998 bis 2002 zur Einkommensteuer veranlagt. Das Finanzamt behandelte seine Einkünfte aus der Tätigkeit als Insolvenzverwalter zunächst als solche aus selbständiger Arbeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Im Anschluss an eine Außenprüfung vertrat es jedoch die Auffassung, dass es sich bei den Einkünften des Klägers aus seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter um gewerbliche Einkünfte handele und erließ deshalb für die Jahre 1998 bis 2000 entsprechende Gewerbesteuermessbetragsbescheide. Ferner setzte es die Einkommensteuer für die Jahre 1998 bis 2002 dergestalt neu fest, dass es für die fraglichen Einkünfte die Tarifermäßigung nach § 32c EStG gewährte. Dies führte auch zu der Festsetzung von Erstattungszinsen.

Gegen die Gewerbesteuermessbetragsbescheide für die Jahre 1998 bis 2000 erhob der Kläger Klage. Das FG wies die Klage ab; auf die Revision des Klägers hob der BFH (Urteil vom 15.12.2010 VIII R 13/10) das Urteil und die angefochtenen Gewerbesteuermessbetragsbescheide auf. Das Finanzamt hob daraufhin auch die Gewerbesteuermessbetragsbescheide für die Jahre 2001 und 2002 auf. Die Einkommensteuer für die Jahre 1998 bis 2002 setzte es dergestalt neu fest, dass es die Tarifermäßigung nach § 32c EStG nicht mehr gewährte. Dies führte zur Nachforderung von Einkommensteuer und zur Festsetzung von Nachzahlungszinsen.

Der Kläger beantragte daraufhin, die Zinsen nach § 163 S. 1 AO zu erlassen. Zur Begründung machte er geltend, er habe wegen des Sachverhalts für die Veranlagungszeiträume 2006 und 2007 Erstattungszinsen erhalten, die mit einem Steuersatz von etwa 50 Prozent der Einkommensteuer unterlägen. Demgegenüber seien die festgesetzten Nachzahlungszinsen steuerlich nicht abziehbar. Das Finanzamt lehnte dies ab.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die Revision zum BFH wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Das Finanzamt hat es zu Recht abgelehnt, die Zinsen zur Einkommensteuer aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen.

Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren ist § 163 S. 1 AO, der gem. § 239 Abs. 1 S. 1 AO entsprechend für die Festsetzung von Nachzahlungszinsen nach § 233a Abs. 1 S. 1 AO gilt. Nach § 163 S. 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ist anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht oder nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft.

Zweck der Regelung des § 233a AO ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Liquiditätsvorteile, die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheides objektiv oder typischerweise entstanden sind, sollen durch die sog. Vollverzinsung ausgeglichen werden. Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden sind, ist grundsätzlich unbeachtlich. Ferner kommt es für eine Billigkeitsmaßnahme grundsätzlich nicht darauf an, aus welchen Gründen es zur Entstehung von Nachforderungszinsen gekommen ist.

Unbeschadet dessen ist ein schuldhaftes oder willkürliches Handeln des beklagten Finanzamts hier nicht festzustellen. Die Änderung der Festsetzung der Einkommensteuer und die Festsetzung der Nachzahlungszinsen beruhen vielmehr darauf, dass der BFH seine Rechtsprechung geändert hat. Dies ergibt aus dem Urteil des BFH in BFH/NV 2011, 1309 sowie aus dem dort in Bezug genommenen Urteil des BFH vom 15.12.2010 (VIII R 50/09). Auf das Urteil des BFH vom 25.11.1997 (IX R 28/96) kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen, weil diese Entscheidung den Sonderfall betraf, dass Vorauszahlungen auf Grund eines Fehlers der Finanzbehörde zurückgezahlt worden waren, der Steuerpflichtige die Finanzbehörde hierauf unverzüglich aufmerksam gemacht hatte und den Betrag zur sofortigen Rückzahlung auf seinem Girokonto bereitgehalten hatte.

Eine Unbilligkeit kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil auf Grund der Aufhebung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG durch Art. 1 Nr. 15 Buchst. a des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 Nachzahlungszinsen mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 nicht mehr steuermindernd geltend gemacht werden können. Die Abziehbarkeit von Nachzahlungszinsen nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. wurde allgemein als systemwidrig beurteilt. Eine sachliche Unbilligkeit der Festsetzung von Nachzahlungszinsen, die steuerlich nicht abzugsfähig sind, kann deshalb nicht angenommen werden. Denn es würde den Wertungen des Gesetzgebers widersprechen, der Beseitigung einer als systemwidrig angesehenen Steuerabzugsmöglichkeit durch eine individuelle Billigkeitsmaßnahme entgegenzuwirken.

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