04.08.2020

Kindergeld: Abrechnungsbescheid durch Einspruchsentscheidung über Höhe des Auszahlungsanspruchs

Wendet sich der Kindergeldberechtigte bezüglich der Höhe des zur Auszahlung gekommenen Kindergeldes gegen den in einem Kindergeldbescheid enthaltenen Abrechnungsteil und entscheidet die Familienkasse in der Einspruchsentscheidung über die Höhe des Auszahlungsanspruches, stellt diese Entscheidung einen Abrechnungsbescheid i.S.d. § 218 Abs. 2 AO dar. Die Qualifizierung als Abrechnungsbescheid hängt nicht davon ab, dass die Familienkasse ihre Entscheidung ausdrücklich als Abrechnungsbescheid oder als Bescheid nach § 218 Abs. 2 AO bezeichnet.

BFH v. 19.2.2020 - III R 70/18
Der Sachverhalt:
Der Kläger für seine 1993 geborene Tochter Kindergeld für den Zeitraum August 2014 bis Januar 2018 beantragt. Das Antragsschreiben datierte vom 21.12.2017 und war an die Familienkasse gerichtet. Es wurde mit dem Eingangsstempel der Familienkasse vom 2.1.2018 versehen und ausweislich des im Ausdruck der E-Akte ersichtlichen Scandatums am 3.1.2018 eingescannt.

Die Familienkasse setzte mit Bescheid vom 17.1.2018 Kindergeld für Juli 2017 bis Januar 2018 fest und zahlte den Betrag umgehend aus. Mit dem hier streitigen Bescheid vom 12.3.2018 setzte die Familienkasse auch das Kindergeld für den Zeitraum August 2014 bis Juni 2017 fest. Im selben Bescheid verfügte die Familienkasse unter der Überschrift "Nachzahlung", dass sich hieraus keine Nachzahlung des Kindergeldes ergebe. Zur Begründung verwies die Familienkasse darauf, dass aufgrund der gesetzlichen Änderung nach § 66 Abs. 3 EStG Anträge, die nach dem 31.12.2017 eingingen, rückwirkend nur noch zu einer Nachzahlung für die letzten sechs Kalendermonate vor Eingang des Antrages bei der Familienkasse führen könnten.

Der Kläger legte Einspruch ein "gegen die Feststellung, der Antrag vom 21.12.2017 sei erst am 2.1.2018 eingegangen mit der Folge, dass sich wegen § 66 Abs. 3 EStG keine Nachzahlung des festgesetzten Kindergeldes für August 2014 bis Juni 2017 ergebe". Die Familienkasse wies den Einspruch zurück. Zur Begründung verwies sie auf die Regelung in § 66 Abs. 3 EStG, die seit dem 1.0.2018 in Kraft sei. Der Antrag sei erst am 2.1.2018 bei der Familienkasse eingegangen.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Der BFH bestätigte die Entscheidung.

Gründe:
Das FG war zu Recht davon ausgegangen, dass die Vorschrift das Festsetzungsverfahren und nicht das Erhebungsverfahren betrifft. Für eine Zuordnung zum Festsetzungsverfahren spricht die systematische Verortung der Regelung in § 66 EStG. Die Vorschriften der §§ 62 bis 69 EStG befassen sich mit den materiellen Voraussetzungen des Kindergeldanspruchs und Fragen der Festsetzung desselben. In den §§ 70 und 72 erfolgt der Übergang vom Festsetzungs- in das Erhebungsverfahren, während die §§ 74 bis 76 EStG ausschließlich Fragen der Erhebung betreffen.

Diese Sichtweise wird auch dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber im Rahmen des Sozial-MissbrG die Auszahlungsbeschränkung von § 66 Abs. 3 EStG nach § 70 Abs. 1 EStG verschoben hat. Zur Begründung führte er u.a. an, dass die Regelung sich nunmehr in § 70 EStG "Festsetzung und Zahlung von Kindergeld" befinde und die Auszahlungsbeschränkung somit nicht mehr im Bereich der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld (§§ 62 bis 66 EStG) enthalten sei.

Eine Zuordnung des § 66 Abs. 3 EStG zum Festsetzungsverfahren widerspricht auch nicht dem Sinn und Zweck der Norm. Denn die Norm kann ihre Wirkung, den Anspruchsteller zu einer zeitnahen Stellung seines Kindergeldantrags zu bewegen und der Familienkasse dadurch die notwendige Aufklärung des Sachverhalts zu ermöglichen, auch dann entfalten, wenn bei verspäteter Antragstellung bereits die Festsetzung über den Sechsmonatszeitraum hinaus abgelehnt wird. Damit entfällt auch die darüber hinausgehende Auszahlung des Kindergeldes an den Kindergeldberechtigten.

Die von der Familienkasse entgegen § 66 Abs. 3 EStG vorgenommene rückwirkende Festsetzung des Kindergeldes für den Zeitraum August 2014 bis Juni 2017 wirkte konstitutiv und war infolge der eingetretenen Bestandskraft für die Familienkasse auch bindet. Im Streitfall bestand ein Kindergeldanspruch auch für den Zeitraum August 2014 bis Juni 2017, da die Familienkasse mit Bescheid vom 12.3.2018 Kindergeld für den Zeitraum August 2014 bis Juni 2017 festgesetzt hatte. Da das FG keine Auszahlungshindernisse festgestellt hatte, ergab sich demnach ein Auszahlungsanspruch des Anspruchsberechtigten für den Zeitraum August 2014 bis Juni 2017.
BFH online
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