30.09.2021

Kindergeld: Nordteil der Insel Zypern kein Mitgliedstaat i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG

Schon aus dem Wortlaut "Mitgliedstaat" ergibt sich, dass der Beitritt des Staates zur EU vorausgesetzt wird und es entgegen der Ansicht der Klägerin nicht allein auf einen territorialen Aspekt ankommt.

Kurzbesprechung
BFH v. 18.2.2021 - III B 123/20

EStG § 63 Abs 1 S 6
FGO § 115 Abs 2 Nr. 1


Streitig war die Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum Januar 2019 bis Januar 2020 für die im August 1997 geborene Tochter der Anspruchsberechtigten. Im März 2019 stellte sie einen Antrag auf Gewährung von Kindergeld für die im Nordteil von Zypern studierende Tochter. Dies wurde von der Familienkasse und nachfolgend vom FG abgelehnt. Zur Begründung führte das FG aus, dass die Tochter im Streitzeitraum weder einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland noch einen im Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) gehabt habe.

Die Anspruchsberechtigte macht u.a. geltend, dass die Frage, ob auch das Territorium der Türkischen Republik (Nordzypern) ein EU-Mitgliedstaat i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 6 des EStG sei, grundsätzliche Bedeutung habe und die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des BFH erfordere.

Der BFH entschied, dass der Nordteil der Insel Zypern nicht als EU-Mitgliedstaat im Sinne des § 63 EStG angesehen ist. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG setzt der Kindergeldanspruch voraus, dass das Kind entweder im Inland oder in einem EU-Mitgliedstaat oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Schon aus dem Wortlaut "Mitgliedstaat" ergibt sich, dass der Beitritt des Staates zur EU vorausgesetzt wird und es nicht allein auf einen territorialen Aspekt ankommt. Entscheidend für die Bestimmung als EU-Mitgliedstaat ist daher nicht allein, ob das Gebiet völkerrechtlich dem Gebiet der EU zugeordnet werden kann. Hinzukommen muss, dass auf diesem Gebiet auch das Recht der EU (acquis communautaire = gemeinsamer Besitzstand) gilt.

Die Anwendung des EU-Rechts ist aber im Bereich der völkerrechtlich nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern durch das Protokoll Nr. 10 über Zypern der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäischen Union begründenden Verträge (Amtsblatt der Europäischen Union 2003, Nr. L 236, S. 955) suspendiert, solange die Regierung der Republik Zypern in diesem Gebiet keine tatsächliche Kontrolle ausübt.

Dieses Protokoll zieht die Konsequenz daraus, dass es vor dem Beitritt Zyperns nicht mehr gelungen ist, eine politische Lösung für die geteilte Insel zu finden Der Besitzstand, der hier durch das Protokoll ausgesetzt ist, umfasst alle Rechtsakte, die für die Mitgliedstaaten der EU verbindlich sind. Faktisch trat daher nach dem Scheitern des Referendums zum Annan-Plan am 24.04.2004 der Nordteil der Insel (Türkische Republik Nordzypern) nicht der EU bei. Solange die Republik Zypern Hoheitsakte in Nordzypern und damit auch EU-Recht nicht durchsetzen kann, gilt der nördliche Teil der Insel Zyperns nicht als EU-Mitgliedstaat i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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