03.11.2022

Klagebefugnis nach Abhilfebescheid der Familienkasse im Klageverfahren; kindergeldrechtliche Ausschlussfrist

1. Setzt die Familienkasse in einem gegen einen Kindergeldaufhebungsbescheid gerichteten Klageverfahren Kindergeld für den vom Aufhebungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung erfassten Regelungszeitraum fest, wird dieser Änderungsbescheid gemäß § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens und lässt die Klagebefugnis entfallen.
2. Eine Klagebefugnis lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass für den nicht vom Aufhebungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung erfassten Anspruchszeitraum gegebenenfalls ein weiterer Kindergeldantrag erforderlich ist, der von der Ausschlussfrist des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG erfasst werden könnte.
3. Erlässt die Familienkasse in einem Rechtsstreit über die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung einen den gesamten Streitzeitraum umfassenden Abhilfebescheid, ist es zur Wahrung der in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG geregelten Sechsmonatsfrist als ausreichend anzusehen, dass der Kindergeldberechtigte im Verwaltungs- oder im sich anschließenden Klageverfahren rechtzeitig zum Ausdruck gebracht hat, dass er Kindergeld auch für einen konkreten Zeitraum außerhalb des vom Abhilfebescheid erfassten Regelungsbereichs begehrt (obiter dictum).

Kurzbesprechung
BFH v. 22. 9. 2022 - III R 23/21

FGO § 40 Abs 2, § 44 Abs 1, § 67, § 68 S 1
AO § 124 Abs 2
EStG § 70 Abs 1 S 2


Streitig war, ob eine von der Familienkasse aufgehobene Kindergeldfestsetzung durch eine nachfolgende befristete Kindergeldfestsetzung geändert oder ersetzt wird.

Nach § 40 Abs. 2 FGO ist u.a. die Anfechtungsklage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. An der notwendigen Klagebefugnis fehlt es, wenn die Familienkasse über den Kindergeldanspruch für den betreffenden Anspruchszeitraum noch keine negative Entscheidung getroffen hat.

Der Regelungsumfang eines Bescheids, durch den eine Kindergeldfestsetzung aufgehoben wird, erstreckt sich bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe, sofern die aufgehobene Kindergeldfestsetzung keine früher endende Befristung oder der Aufhebungsbescheid keine abweichende zeitliche Regelung enthielt. Legt der Kindergeldberechtigte Einspruch gegen den Aufhebungsbescheid ein und weist die Familienkasse diesen Rechtsbehelf nach sachlicher Prüfung als unbegründet zurück, verlängert sich der Regelungsumfang der Verwaltungsentscheidung regelmäßig bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, sofern die Einspruchsentscheidung keine abweichende zeitliche Regelung enthält.

Durch ein sich anschließendes Klageverfahren verändert sich der zeitliche Regelungsumfang des Verwaltungsakts nicht, da das gerichtliche Verfahren keine Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens darstellt. Im Hinblick auf die von der Verfassung vorgegebene Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) ist es die Aufgabe der Gerichte, das bisher Geschehene bzw. das Unterlassene auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, nicht jedoch, grundsätzlich der Verwaltung zustehende Funktionen auszuüben.

Wird während des Klageverfahrens ein Änderungsbescheid erlassen, kann dieser nach § 68 FGO nur insoweit Verfahrensgegenstand werden, als er sich auf Zeiträume bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung bezieht. Dies gilt auch dann, wenn während des Klageverfahrens ein weiterer Kindergeldantrag gestellt wird und der Änderungsbescheid sich auf diesen Antrag bezieht. Dann muss das FG im Falle einer ablehnenden Verwaltungsentscheidung der Familienkasse zunächst Gelegenheit geben, auch für diesen Zeitraum eine Einspruchsentscheidung zu erlassen, da es anderenfalls an der weiteren Sachurteilsvoraussetzung des abgeschlossenen Vorverfahrens (§ 44 Abs. 1 FGO) fehlt.

Solange der nach § 68 FGO zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gewordene Verwaltungsakt Bestand hat, entfaltet der ursprüngliche Bescheid gemäß § 124 Abs. 2 AO keine Wirkung mehr. Nur über diesen geänderten Bescheid kann das FG daher entscheiden.

Im Streitfall war die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung vom 04.11.2015 durch Bescheid vom 11.01.2018 aufgehoben worden. Auf den hiergegen gerichteten Einspruch wurde die Aufhebungsentscheidung sachlich geprüft und der Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 22.03.2018 in vollem Umfang als unbegründet zurückgewiesen. Die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung war mit keiner vor März 2018 (Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung) endenden Befristung versehen. Der Aufhebungsbescheid und die Einspruchsentscheidung enthielten eine abweichende zeitliche Regelung nur hinsichtlich des Beginns des Aufhebungszeitraums (Oktober 2016). Die Familienkasse hatte den Kindergeldanspruch daher nur für den Zeitraum Oktober 2016 bis einschließlich März 2018 geregelt. Entsprechend lag beim Kläger bei Erhebung der Klage nur hinsichtlich des Kindergelds für den Zeitraum Oktober 2016 bis einschließlich März 2018 die notwendige Klagebefugnis vor, weil die Familienkasse für den Zeitraum ab April 2018 noch keine negative Entscheidung getroffen hatte.

Durch den in der mündlichen Verhandlung erlassenen Änderungsbescheid vom 27.05.2020 wurde der Aufhebungsbescheid vom 11.01.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.03.2018 dahingehend abgeändert, dass Kindergeld für den Zeitraum Oktober 2016 bis März 2018 festgesetzt wurde. Dieser Änderungsbescheid wurde gemäß § 68 Satz 1 FGO in vollem Umfang zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens, da er sich auf den bisherigen Aufhebungszeitraum beschränkte. Da sich der Regelungsumfang des Änderungsbescheids mit dem Regelungsumfang des Aufhebungsbescheids und der Einspruchsentscheidung deckte und das Kindergeld für den betreffenden Zeitraum in voller gesetzlicher Höhe gewährt wurde, war die Klagebefugnis des Klägers durch den Änderungsbescheid entfallen. Die Klage hatte sich daher in der Hauptsache erledigt.

Für die Zeit ab April 2018 hatte die Familienkasse noch keine den Kläger belastende Entscheidung getroffen. Das FG hätte die Klage daher mangels Klagebefugnis als unzulässig abweisen müssen.

Nichts anderes ergibt sich aufgrund der vom FG angestellten Überlegung, dass der Kläger nunmehr nur durch einen weiteren Antrag Kindergeld ab April 2018 erhalten und dieser Antrag von der Ausschlussfrist des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG erfasst sein könnte. Zwar trifft es zu, dass das Rechtsschutzziel einer gegen einen Kindergeldaufhebungsbescheid gerichteten Anfechtungsklage in dessen Aufhebung besteht. Ist eine solche Anfechtungsklage erfolgreich, führt sie im Umfang ihres Erfolges zur Wiederherstellung der ursprünglichen Kindergeldfestsetzung und nicht etwa zu einer Verpflichtung der Familienkasse, Kindergeld für den betreffenden Zeitraum erneut festzusetzen.

Trotz der Wiederherstellung der ursprünglichen Festsetzung enthält das Urteil in einem solchen Fall jedoch keine Entscheidung über einen bislang nicht von der Verwaltung geregelten Anspruchszeitraum. Denn die Rechtskraftwirkung des Urteils beschränkt sich ebenfalls auf den streitgegenständlichen Anspruchszeitraum. Die Verwaltung ist in einem solchen Fall nicht gehindert, die wiederhergestellte ursprüngliche Festsetzung ab dem auf die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung folgenden Monat erneut aufzuheben.

Was die Wahrung der in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG geregelten Sechsmonatsfrist anbelangt, ist es in einem Fall wie dem Streitfall nach Auffassung des BFH als ausreichend anzusehen, dass der Kindergeldberechtigte bereits im Verwaltungs- oder im sich anschließenden Klageverfahren rechtzeitig zum Ausdruck gebracht hat, dass er Kindergeld auch für einen Zeitraum außerhalb des vom Abhilfebescheid erfassten Regelungsbereichs begehrt.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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