15.10.2012

Musterverfahren: Auch Stückzinsen aus Altanleihen sind steuerpflichtig

Auch Stückzinsen aus sog. Altanleihen, d.h. aus vor dem 1.1.2009 erworbenen festverzinslichen Wertpapieren, sind nach Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Regelung des § 52a Abs. 10 S. 7 EStG zu versteuern. Mit Blick auf eine erhebliche Zahl gleichgelagerter Einspruchsverfahren, die wegen des gerichtlichen "Musterverfahrens" bislang ruhen, kommt der Entscheidung eine weitreichende Breitenwirkung zu.

FG Münster 2.8.2012, 2 K 3644/10 E
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind zusammen veranlagte Eheleute. Sie erzielen Einkünfte aus Renten und Pensionen. Im Januar 2008 hatten sie festverzinsliche Wertpapiere erworben. Diese verkauften sie im Februar 2009 und erhielten dafür - neben dem Kurswert - auch sog. Stückzinsen i.H.v. rund 1.947 €. Diese Vergütung für den Zinsertrag der Papiere, der auf die Zeit von Beginn des Zinszahlungszeitraums bis zum Verkauf entfällt, sah das Finanzamt als steuerpflichtig an.

Bis zur Einführung der Abgeltungssteuer im Jahr 2009 waren Stückzinsen gem. § 20 Abs. 2 Nr. 3 EStG beim Verkäufer als Zinsertrag zu versteuern. Diese Regelung ist jedoch seit dem 1.1.2009 nicht mehr anwendbar. Seitdem sind Stückzinsen als Teil des Veräußerungserlöses anzusehen und als solcher steuerbar. Allerdings sieht die Übergangsregelung des § 52a Abs. 10 S. 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 vor, dass die neuen Vorschriften über die generelle Steuerpflicht von Veräußerungsgewinnen - die nunmehr auch die Stückzinsen umfassen - nicht für Papiere gelten sollen, die vor dem 1.1.2009 angeschafft wurden. Für diese Anlagen sollen die bisherigen Regeln, wonach Kursgewinne aus Wertpapieren im Privatvermögen außerhalb der einjährigen Spekulationsfrist (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG a.F.) steuerfrei waren, bestehen bleiben.

Hieraus folgerte die Klägerin - und wie sie viele andere Steuerpflichtige -, dass auch in 2009 vereinnahmte Stückzinsen aus vor dem 1.1.2009 angeschafften Anleihen nicht der Besteuerung unterliegen. Das FG wies die Klage jedoch ab. Zwar wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zum BFH zugelassen. Diese wurde allerdings nicht eingelegt.

Die Gründe:
Im Jahr 2009 vereinnahmte Stückzinsen aus vor dem 1.1.2009 erworbenen Kapitalforderungen sind steuerpflichtig.

§ 52a Abs. 10 S. 7 EStG i.d.F. des JStG 2009 ist nach Wortlaut und Zweck nicht eindeutig und somit auslegungsbedürftig. Dabei kam es hier im Wesentlichen auf den Gesetzeszweck an. Für die Ermittlung des Gesetzeszwecks ist wiederum vor allem die Entstehungsgeschichte einer Vorschrift von Bedeutung. Und aus dem Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Regelung des § 52a Abs. 10 S. 7 EStG kam der Senat zu der Ansicht, dass Stückzinsen aus Altanleihen nicht von der Besteuerung auszunehmen sind.

Die Gesetzesmaterialien belegen zwar, dass der Gesetzgeber die ursprünglich steuerfreien Kursgewinne aus vor dem 1.1.2009 erworbenen Kapitalforderungen weiterhin steuerfrei stellen wollte. Jedoch ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass er darüber hinaus auch die ursprünglich steuerpflichtigen Stückzinsen von der Besteuerung hat ausnehmen wollen. Dass der Gesetzgeber Stückzinsen nicht von der Besteuerung ausnehmen wollte, hat er zudem zeitnah klargestellt. So wird zur Begründung der Ergänzung des § 52a Abs. 10 S. 7 2. Hs. EStG i.d.F. des JStG 2010 im Bericht des Finanzausschusses vom 28.10.2010 (BT-Drs. 17/3549) auf den übereinstimmenden Willen der Koalitionsfraktionen, der Bundesregierung und des Bundesrates verwiesen. Danach unterlägen auch Stückzinsen der Abgeltungssteuer, weil dies nach dem Gebot der gleichmäßigen Besteuerung unbestritten und unverzichtbar sei.

Dem stand auch nicht entgegen, dass mehrere Autoren und die Kreditwirtschaft anderer Auffassung sind bzw. waren. Etwas anderes ergab sich auch nicht dadurch, dass die Veräußerungsgewinne i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG n.F. gem. § 20 Abs. 4 EStG n.F. nach Darstellung der Kläger nur einheitlich ermittelt werden könnten. Denn vom Erwerber entrichtete Stückzinsen sind weiterhin (vorab entstandene) negative Einnahmen aus Kapitalvermögen im Veranlagungszeitraum des Abflusses und keine Anschaffungskosten i.S.d. § 20 Abs. 4 n.F. Gegebenenfalls sind sie beim Privatanleger in den Verlustverrechnungstopf einzustellen.

Linkhinweis:

FG Münster PM v. 15.10.2012
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