07.07.2022

Nachträgliche Geltendmachung des Wahlrechts auf einen Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG

1. Die Inanspruchnahme des Sonderausgabenabzugs für eine zusätzliche Altersvorsorge gemäß § 10a EStG steht im Wahlrecht des Steuerpflichtigen. Dieses Wahlrecht muss nicht zwingend durch Abgabe der Anlage AV zur Einkommensteuererklärung ausgeübt werden, sondern kann auch formlos geltend gemacht werden.
2. Die Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO i.V.m. § 10a Abs. 5 Satz 2, § 10 Abs. 2a Satz 8 Nr. 1 EStG in der bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2016 geltenden Fassung kommt nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige den Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG erstmals nach Eintritt der materiellen Bestandskraft begehrt.

Kurzbesprechung
BFH v. 19. 1 2022 - X R 32/20

EStG § 10a Abs 1, § 10a Abs 2, § 10 Abs 2a S 8 Nr. 1, § 10a Abs 5 S 1, § 10a Abs 5 S 2, §§ 79ff, § 82 Abs 1 S. 2
AO § 129 S 1, § 172 Abs 1 S 1 Nr. 2 Buchst d, § 173 Abs 1 Nr. 2, § 175 Abs 1 S 1 Nr. 1, § 175 Abs 1 S 1 Nr. 2, § 171 Abs 10 S 1
AltZertG § 1 Abs 3


Die Steuerpflichtigen hatten für das Streitjahr 2012 zunächst keine Einkommensteuererklärung abgegeben. Aufgrund dessen schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen. Ein Sonderausgabenabzug für Altersvorsorgebeiträge und Zulagen gemäß § 10a EStG wurde hierbei nicht berücksichtigt.

Ihre Einkommensteuererklärung reichten die Steuerpflichtigen mit dem Einspruch gegen den Schätzungsbescheid ein. Zu einem Sonderausgabenabzug gemäß § 10a EStG erklärten sie sich nicht. Das FA änderte die Steuerfestsetzung erklärungsgemäß und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Der Bescheid wurde bestandskräftig, ebenso ein zu späterer Zeit ergangener weiterer Änderungsbescheid.

Im Juni 2018 begehrten die Steuerpflichtigen nachträglich einen Sonderausgabenabzug gemäß § 10a EStG. Sie führten an, das FA habe die vom Anbieter des Altersvorsorgevertrags übermittelten Beiträge und Zulagen zu Unrecht nicht berücksichtigt. Das FA lehnte eine Änderung ab. Eine Günstigerprüfung für den Sonderausgabenabzug nach § 10a Abs. 2 EStG erfordere einen Antrag, der ‑‑was die Steuerpflichtigen versäumt hätten‑‑ in Form der Anlage AV zur Einkommensteuererklärung hätte gestellt werden müssen. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Auch der BFH wies die eingelegte Revision als unbegründet zurück.

Der Sonderausgabenabzug gemäß § 10a EStG ist als Wahlrecht des Steuerpflichtigen konzipiert. Hierfür sprechen vor allem systematische Erwägungen. Gegen die Annahme eines Wahlrechts spricht nicht, dass § 10a Abs. 2 Satz 3 EStG eine von Amts wegen durchzuführende Günstigerprüfung zwischen dem Zulagenanspruch und der Steuerermäßigung durch den Sonderausgabenabzug anordnet. Vielmehr ist die Ausübung des Wahlrechts durch den Steuerpflichtigen Bedingung für den Eintritt in die Günstigerprüfung.

Ein Antrags- bzw. Wahlrecht, für dessen Geltendmachung das Gesetz ‑‑wie im Fall des § 10a EStG‑‑ keine ausdrückliche zeitliche Begrenzung vorsieht, muss der Steuerpflichtige zwar nicht notwendig bereits im Rahmen der Steuererklärung beanspruchen. Allerdings ist ein solches grundsätzlich nur bis zum Eintritt der Bestandskraft des entsprechenden Steuerbescheids erstmals oder in geänderter Weise ausübbar.

Der Steuerpflichtige kann somit frei über das Wahlrecht verfügen, wenn der Bescheid zum einen noch nicht formell bestandskräftig und deshalb ohnehin abänderbar ist, insbesondere dann, wenn über einen Einspruch oder eine Klage gegen den Bescheid noch nicht entschieden ist. Zum anderen ist der Bescheid und damit auch die Ausübung des Wahlrechts änderbar, wenn der Bescheid noch nicht materiell bestandskräftig ist, namentlich unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht. Gleiches gilt, wenn ein erstmals oder anderweitig nach Eintritt der materiellen Bestandskraft des Steuerbescheids ausgeübtes Wahlrecht die Voraussetzungen einer bestandskraftdurchbrechenden Änderungsvorschrift erfüllt.

Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall nicht vor, denn die Steuerpflichtigen hatten erst nach Eintritt der materiellen Bestandskraft einen Sonderausgabenabzug gemäß § 10a EStG beansprucht. Eine die Bestandskraft durchbrechende Korrekturnorm stand ihnen für die Durchsetzung eines solchen Anspruchs nicht zur Seite.

Der BFH machte zudem deutlich, dass die Ausübung des Wahlrechts keiner besonderen Form bedarf (so aber die Finanzverwaltung, BMF-Schreiben in BStBl I 2018, 93, Rz 101); es kann ausdrücklich oder auch nur konkludent geltend gemacht werden.

Auch verwarf der BFH die Auffassung der Steuerpflichtigen, sie hätten bereits mit der Einwilligung in die Datenübermittlung an die Finanzverwaltung nach § 10a Abs. 2a Satz 1, Abs. 5 Satz 1 EStG a.F. ihr Wahlrecht auf Inanspruchnahme des Sonderausgabenabzugs gemäß § 10a EStG wirksam ausgeübt.

Die für das Streitjahr 2012 in zeitlicher Hinsicht noch anwendbare Vorschrift des § 10 Abs. 2a Satz 8 Nr. 1 EStG a.F. (vgl. Art. 97 § 27 Abs. 2 EGAO) ist eine spezialgesetzliche Korrekturnorm i.S. von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO. Hiernach ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ‑‑von einem Dritten übermittelte‑‑ Daten gemäß § 10 Abs. 2a Sätze 4, 6 oder 7 EStG a.F. vorliegen und sich hierdurch eine Änderung der festgesetzten Steuer ergibt. Die Vorschrift gilt sowohl für den Fall der erstmaligen Übermittlung von Daten (§ 10a Abs. 2a Satz 4 EStG a.F.) als auch für korrigierte bzw. stornierte Datensätze (Satz 6 der Vorschrift). Der Wortlaut des § 10 Abs. 2a Satz 8 Nr. 1 EStG a.F. fordert durch das Adverb "hierdurch" allerdings einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den vorliegenden Daten und der sich durch deren nachträgliche Berücksichtigung ergebenden Änderung der festgesetzten Steuer. Steht dagegen der Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG im Wahlrecht des Steuerpflichtigen, hängt die Änderung der bisher festgesetzten Steuer nicht nur vom Vorliegen relevanter Daten, sondern zusätzlich von einer Ausübung dieses Wahlrechts ab.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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