11.02.2022

Reichweite der Altvertragsklausel beim Russland-Embargo

Die Annahme einer Zollanmeldung ist zu widerrufen, wenn ihr Verbote und Beschränkungen entgegenstehen. Hat die Zollbehörde die Rücknahme der Annahme erklärt, obwohl die Voraussetzungen des Art. 27 UZK nicht erfüllt sind, schließt das die Umdeutung in einen Widerruf nach Art. 28 UZK nicht aus.

Kurzbesprechung
BFH v. 19.10.2021 - VII R 7/18

EUVtr Art 29 , AEUV Art 215 , EUV 952/2013 Art 5 , EUV 952/2013 Art 27 , EUV 952/2013 Art 28 , EUV 952/2013 Art 77 , EUV 952/2013 Art 134 , EUV 952/2013 Art 172 , ZollVG § 7 , FGO § 100 Abs 1 S 4 , FGO § 155 S 1 , ZPO § 293 , ZPO § 560 , EUBes 512/2014 Art 2 Abs 3 , EUBes 512/2014 Art 2 Abs 4 , EUBes 512/2014 Art 9 Abs 1 , EGV 593/2008 Art 3 , EUV 952/2013 , EUBes 512/2014 , AWG 2013 § 1 Abs 1 , AWG 2013 § 2 , AWG 2013 § 4 , AWV 2013 § 77 Abs 1 Nr 6 , AWV 2013 § 77 Abs 4 S 1 Nr 2 , AWV 2013 § 77 Abs 3 , EUBes 872/2014 , AWG 2013 § 4 Abs 4 S 3

Die Klägerin betreibt ein Handelsunternehmen und unterhält seit dem Jahr 2005 Geschäftsbeziehungen zu einer russischen Aktiengesellschaft (sog. Closed Joint-Stock Company). Mit der Beklagten stritt sie darüber, ob mehrere Einfuhren von Munition aus Russland, die im Jahr 2016 erfolgt waren, unter die sog. Altvertragsklausel des § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) fallen und daher vom Einfuhrverbot des § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV ausgenommen sind.

In der mündlichen Verhandlung vor dem FG beantragte die Klägerin, den Gutachter sowie einen (weiteren) Sachverständigen für russisches Recht zu dem Beweisthema zu hören, dass der am 27.7.2011 geschlossene Vertrag nach russischem Recht eine Liefer- bzw. Abnahmeverpflichtung für die Parteien begründet habe, die nicht zum 31.12.2014 erloschen sei. Das FG wies die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Ob im vorliegenden Streitfall die Voraussetzungen für eine Annahme der fünf Zollanmeldungen vom 14. bzw. 16.11.2016 nicht erfüllt waren, weil die streitgegenständlichen Einfuhren dem Importverbot des § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV unterlegen haben, und ob damit der Widerruf der Annahmen der Zollanmeldungen nach Art. 28 Abs. 1 Buchst. a Alternative 1 UZK zu Recht erfolgt ist, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des FG nicht beurteilen.

Die Annahme einer Zollanmeldung ist zu widerrufen, wenn ihr Verbote und Beschränkungen entgegenstehen. Hat die Zollbehörde die Rücknahme der Annahme erklärt, obwohl die Voraussetzungen des Art. 27 UZK nicht erfüllt sind, schließt das die Umdeutung in einen Widerruf nach Art. 28 UZK nicht aus.

Die Altvertragsklausel des § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV erfasst nur solche Verträge und Vereinbarungen, mit denen konkrete vertragliche Leistungspflichten bereits vor dem 01.08.2014 begründet worden sind. Ob das der Fall ist, kann nur nach Maßgabe des jeweils einschlägigen (ggf. ausländischen) Rechts bestimmt werden.

Es ist Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 293 ZPO). An die Ermittlungspflicht sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer oder fremder das anzuwendende Recht im Vergleich zum eigenen ist.

Ausgehend von diesen rechtlichen Überlegungen war das vorinstanzliche Urteil aufzuheben. Mit dem streitgegenständlichen Vertrag vom 27.7.2011 hatten die Parteien eine Rechtswahl i.S. von Art. 3 Rom I-VO getroffen und die Anwendung russischen Rechts vereinbart. In einer derartigen Situation hätte das FG von Amts wegen weitere Ermittlungen anstellen und entweder amtliche Auskünfte einholen oder aber ein weiteres Rechtsgutachten in Auftrag geben müssen. Im zweiten Rechtsgang wird das FG dies nachzuholen haben.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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