Steuerfreistellung des niederländischen Arbeitslohns im Ansässigkeitsstaat Deutschland auch bei Anwendung der niederländischen 30 %-Regelung
Kurzbesprechung
BFH v. 10.4.2025 - VI R 29/22
EStG § 1 Abs 1 S 1, EStG § 19 Abs 1, EStG § 32b
DBA NLD 2012 Art 14 Abs 1, DBA NLD 2012 Art 22 Abs 1 Buchst a
Nach Art. 14 Abs. 1 DBA-Niederlande 2012/2016 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat (vorliegend Deutschland) besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt (vorliegend Niederlande). Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen auch im anderen Staat (vorliegend in den Niederlanden) besteuert werden.
Danach steht das Besteuerungsrecht betreffend die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus unselbständiger Arbeit nach Art. 14 Abs. 1 DBA-Niederlande 2012/2016 neben Deutschland auch den Niederlanden insoweit zu, als der Steuerpflichtige seine Tätigkeit dort (im Streitfall an 157 von 237Arbeitstagen) ausgeübt hat.
Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung werden nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 bei einer in Deutschland ansässigen Person die niederländischen Einkünfte von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen und insoweit lediglich in den Progressionsvorbehalt gemäß Art. 22 Abs. 1 Buchst. d DBA-Niederlande 2012/2016 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG einbezogen. Dies allerdings nur dann, wenn diese Einkünfte tatsächlich in den Niederlanden besteuert werden und ‑‑ wie im Streitfall ‑ nicht unter Art. 22 Abs. 1 Buchst. b DBA-Niederlande 2012/2016 fallen.
Eine tatsächliche Besteuerung im anderen Vertragsstaat liegt vor, wenn dieser die betreffenden Einkünfte in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezieht. Eine Steuer(zahl)last muss hierdurch nicht entstehen. Deshalb liegt eine tatsächliche Besteuerung auch vor, soweit sich die Einkünfte steuerlich nicht auswirken, weil zum Beispiel Freibeträge gewährt oder Verluste verrechnet werden. Entsprechendes gilt, wenn ausländische Vorschriften zur Einkünfteermittlung oder die steuerfreie Erstattung von Aufwendungen wie eine partielle Nichtbesteuerung wirken.
Hingegen fehlt es an einer tatsächlichen Besteuerung im Sinne des Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 unter anderem, falls Einkünfte in den Niederlanden aufgrund einer sachlichen oder persönlichen Steuerbefreiung nicht besteuert werden oder dort eine Besteuerung nicht durchgeführt wurde.
Von einer tatsächlichen Nichtbesteuerung im Anwendungsbereich eines Doppelbesteuerungsabkommens ist grundsätzlich auszugehen, soweit der Staat, dem das Besteuerungsrecht nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (auch) zugewiesen ist (hier die Niederlande), nach nationalem Recht Einkünfte nicht besteuern kann, insbesondere weil diese nicht steuerbar beziehungsweise sachlich steuerbefreit sind oder der Steuerpflichtige persönlich steuerbefreit ist, oder aus anderen Gründen eine tatsächliche Besteuerung unterbleibt, beispielsweise aufgrund Verzichts durch Erlass der Steuer oder durch Unkenntnis der durch den Steuerpflichtigen erzielten Einkünfte.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund konnte die klageabweisende Entscheidung der Vorinstanz keinen Bestand haben. Denn nach niederländischem Recht ist der niederländische Arbeitslohn des Steuerpflichtigen, soweit den Niederlanden das Besteuerungsrecht gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Satz 2 DBA-Niederlande 2012/2016 zustand, im Sinne von Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 in den Niederlanden in vollem Umfang tatsächlich besteuert worden. Dies gilt auch, soweit der Kläger seinen niederländischen Arbeitslohn aufgrund der 30 %-Regelung steuerfrei erhalten hat.
Die 30 %-Regelung gründet auf der Annahme, dass Arbeitnehmern, die eine Tätigkeit bei einem niederländischen Arbeitgeber aufnehmen und zwecks Ausübung ihrer Tätigkeit in die Niederlande umziehen oder ‑‑ wie im Streitfall ‑‑ täglich vom Ausland in die Niederlande reisen, zusätzliche Kosten entstehen, weil die Lebenshaltungskosten in den Niederlanden höher als im Heimatland sind. Soweit es sich hierbei um sogenannte extraterritoriale Kosten handelt, kann der Arbeitgeber diese Mehrkosten dem Arbeitnehmer entweder gegen Einzelnachweis steuerfrei erstatten oder ‑‑ wie im Streitfall ‑‑ stattdessen ohne Nachweis pauschal abgelten und 30 % des Arbeitslohns steuerfrei auszahlen. Damit handelt es sich bei der 30 %-Regelung jedoch nicht um eine persönliche oder sachliche Steuerbefreiung, die eine tatsächliche Nichtbesteuerung bewirkt, sondern ‑‑ nach dem insoweit maßgeblichen niederländischen Recht ‑‑ um die pauschalierte Erstattung von steuererheblichen Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Von einer Nichtbesteuerung im Sinne von Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 kann aufgrund einer solchen aufwandsentlastenden Steuerfreistellung wie bei Freibeträgen und steuermindernden Vorschriften im Rahmen der Einkommensermittlung daher keine Rede sein.
Der in den Niederlanden nach Anwendung der 30 %-Regelung von der Besteuerung freigestellte Teil des Arbeitslohns ist daher bei der Ermittlung der deutschen Bemessungsgrundlage nicht, sondern nur beim Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
EStG § 1 Abs 1 S 1, EStG § 19 Abs 1, EStG § 32b
DBA NLD 2012 Art 14 Abs 1, DBA NLD 2012 Art 22 Abs 1 Buchst a
Nach Art. 14 Abs. 1 DBA-Niederlande 2012/2016 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat (vorliegend Deutschland) besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt (vorliegend Niederlande). Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen auch im anderen Staat (vorliegend in den Niederlanden) besteuert werden.
Danach steht das Besteuerungsrecht betreffend die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus unselbständiger Arbeit nach Art. 14 Abs. 1 DBA-Niederlande 2012/2016 neben Deutschland auch den Niederlanden insoweit zu, als der Steuerpflichtige seine Tätigkeit dort (im Streitfall an 157 von 237Arbeitstagen) ausgeübt hat.
Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung werden nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 bei einer in Deutschland ansässigen Person die niederländischen Einkünfte von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen und insoweit lediglich in den Progressionsvorbehalt gemäß Art. 22 Abs. 1 Buchst. d DBA-Niederlande 2012/2016 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG einbezogen. Dies allerdings nur dann, wenn diese Einkünfte tatsächlich in den Niederlanden besteuert werden und ‑‑ wie im Streitfall ‑ nicht unter Art. 22 Abs. 1 Buchst. b DBA-Niederlande 2012/2016 fallen.
Eine tatsächliche Besteuerung im anderen Vertragsstaat liegt vor, wenn dieser die betreffenden Einkünfte in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezieht. Eine Steuer(zahl)last muss hierdurch nicht entstehen. Deshalb liegt eine tatsächliche Besteuerung auch vor, soweit sich die Einkünfte steuerlich nicht auswirken, weil zum Beispiel Freibeträge gewährt oder Verluste verrechnet werden. Entsprechendes gilt, wenn ausländische Vorschriften zur Einkünfteermittlung oder die steuerfreie Erstattung von Aufwendungen wie eine partielle Nichtbesteuerung wirken.
Hingegen fehlt es an einer tatsächlichen Besteuerung im Sinne des Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 unter anderem, falls Einkünfte in den Niederlanden aufgrund einer sachlichen oder persönlichen Steuerbefreiung nicht besteuert werden oder dort eine Besteuerung nicht durchgeführt wurde.
Von einer tatsächlichen Nichtbesteuerung im Anwendungsbereich eines Doppelbesteuerungsabkommens ist grundsätzlich auszugehen, soweit der Staat, dem das Besteuerungsrecht nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (auch) zugewiesen ist (hier die Niederlande), nach nationalem Recht Einkünfte nicht besteuern kann, insbesondere weil diese nicht steuerbar beziehungsweise sachlich steuerbefreit sind oder der Steuerpflichtige persönlich steuerbefreit ist, oder aus anderen Gründen eine tatsächliche Besteuerung unterbleibt, beispielsweise aufgrund Verzichts durch Erlass der Steuer oder durch Unkenntnis der durch den Steuerpflichtigen erzielten Einkünfte.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund konnte die klageabweisende Entscheidung der Vorinstanz keinen Bestand haben. Denn nach niederländischem Recht ist der niederländische Arbeitslohn des Steuerpflichtigen, soweit den Niederlanden das Besteuerungsrecht gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Satz 2 DBA-Niederlande 2012/2016 zustand, im Sinne von Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 in den Niederlanden in vollem Umfang tatsächlich besteuert worden. Dies gilt auch, soweit der Kläger seinen niederländischen Arbeitslohn aufgrund der 30 %-Regelung steuerfrei erhalten hat.
Die 30 %-Regelung gründet auf der Annahme, dass Arbeitnehmern, die eine Tätigkeit bei einem niederländischen Arbeitgeber aufnehmen und zwecks Ausübung ihrer Tätigkeit in die Niederlande umziehen oder ‑‑ wie im Streitfall ‑‑ täglich vom Ausland in die Niederlande reisen, zusätzliche Kosten entstehen, weil die Lebenshaltungskosten in den Niederlanden höher als im Heimatland sind. Soweit es sich hierbei um sogenannte extraterritoriale Kosten handelt, kann der Arbeitgeber diese Mehrkosten dem Arbeitnehmer entweder gegen Einzelnachweis steuerfrei erstatten oder ‑‑ wie im Streitfall ‑‑ stattdessen ohne Nachweis pauschal abgelten und 30 % des Arbeitslohns steuerfrei auszahlen. Damit handelt es sich bei der 30 %-Regelung jedoch nicht um eine persönliche oder sachliche Steuerbefreiung, die eine tatsächliche Nichtbesteuerung bewirkt, sondern ‑‑ nach dem insoweit maßgeblichen niederländischen Recht ‑‑ um die pauschalierte Erstattung von steuererheblichen Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Von einer Nichtbesteuerung im Sinne von Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande 2012/2016 kann aufgrund einer solchen aufwandsentlastenden Steuerfreistellung wie bei Freibeträgen und steuermindernden Vorschriften im Rahmen der Einkommensermittlung daher keine Rede sein.
Der in den Niederlanden nach Anwendung der 30 %-Regelung von der Besteuerung freigestellte Teil des Arbeitslohns ist daher bei der Ermittlung der deutschen Bemessungsgrundlage nicht, sondern nur beim Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen.